Widerstand
Als Form gesellschaftlicher und politischer Auseinandersetzungen blickt der Widerstand auf eine lange kulturelle und historische Tradition zurück. In rechtsstaatlichen Demokratien steht der Begriff für die Verweigerung von Gehorsam, in nicht-demokratischen Systemen für die Verweigerung von Zustimmung gegenüber der staatlichen Macht, die in aktives oppositionelles Handeln übergehen kann. Während der Widerstand dort auf die Überwindung der Herrschaftsverhältnisse abzielt und damit revolutionäre Züge annimmt, bleibt er in den Demokratien in den meisten Fällen systemimmanent. Hier geht es den Widerständigen darum, als Unrecht empfundenes Handeln der Regierenden anzuprangern und zu bekämpfen. Beispiele sind die von der ersten Großen Koalition durchgesetzte Notstandsgesetzgebung oder der in den 1970er Jahren forcierte Ausbau der Atomenergie.
Nach der Form lässt sich zwischen passivem und aktivem Widerstand unterscheiden. Passiven Widerstand leisten Menschen, die sich in einem autokratischen System von den Machthabern nicht vereinnahmen lassen wollen. Um möglicher Verfolgung zu entgehen, verlassen sie das Land und gehen ins Exil, oder sie ziehen sie sich innerlich zurück, indem sie auf öffentlich geäußerte Kritik am Regime verzichten („innere Emigration“). Beim aktivem Widerstand gibt es ein weites Formenspektrum, das vom gesetzeswidrigen zivilen Ungehorsam bis hin zum militant-gewaltsamen Umsturz reicht. Unter den zivilen Ungehorsam fallen zum Beispiel Straßenblockaden und Gesetzesboykotte, bei denen die Teilnehmenden ihre Bestrafung bewusst in Kauf nehmen. Militanter Widerstand äußert sich in Ausschreitungen bei Demonstrationen, Straßenkämpfen, Anschlägen oder Sabotageakten. Eine Zwischenstellung nehmen Besetzungen und Streiks ein. In demokratischen Systemen zählen alle diese Formen zur protestorientierten politischen Partizipation.
Widerstand, auch in gewaltsamer Form, kann rechtmäßig sein, wenn er zur Verteidigung der freiheitlich demokratischen Grundordnung dient. Artikel 20 Absatz 4, der dieses Recht gewährt, wurde 1968 zusammen mit der Notstandsverfassung nachträglich in das Grundgesetz eingefügt. Vergleichbare Bestimmungen finden sich in einer Reihe von Landesverfassungen, in einem Fall – Bremen – sogar als Widerstandspflicht.
Jenseits der allgemeinen Verwendung wird der Begriff Widerstand in Deutschland vor allem mit der Opposition gegen das nationalsozialistische Regime in Verbindung gebracht. Bezogen auf die DDR ist er eher ungebräuchlich, was mit dem Fehlen einer breiten Widerstandsbewegung zusammenhängen mag. Die Niederschlagung des Volksaufstandes 1953 bildete hier die entscheidende Zäsur (17. Juni). Obwohl das SED-Regime in der Bevölkerung auch danach über wenig Rückhalt verfügte, gelang es den Machthabern fortan, die oppositionellen Kräfte wirksam zu unterdrücken. Dafür sorgten erstens die Abwanderungsmöglichkeit in den Westen, die man gezielt nutzte, um sich unliebsamer Kritiker zu entledigen – etwa bei der Ausbürgerung Wolf Biermanns 1976. Zweitens wurden den innerlich auf Distanz zum Sozialismus stehenden Bevölkerungsteilen, die sich vor allem im Umfeld der Kirchen bewegten, gewisse Freiräume gewährt. Und drittens unterhielt das Regime mit der allgegenwärtigen Staatsicherheit einen nahezu perfekt funktionierenden Überwachungsapparat. Sichtbare Oppositionsbestrebungen regten sich deshalb erst im „Wendejahr“ 1989 (Friedliche Revolution).
Der Widerstand in der NS-Zeit musste sich Im Unterschied dazu gegen ein Regime behaupten, das bis weit in die Kriegsjahre hinein Popularität besaß. Getragen wurde er von Personen und Gruppen aus allen gesellschaftlichen Schichten und politischen Lagern. Von der äußeren und inneren Emigration bis hin zum Attentat und versuchtem Staatstreich umfasste er gleichzeitig alle oben genannten Formen. Die Frauen und Männer, die sich gegen Hitler stellten, brachten erheblichen Mut auf, mussten sie doch zu jeder Zeit mit Entdeckung und Verhaftung rechnen. Denunziationen waren weit verbreitet und geschahen – anders als später in der DDR – überwiegend freiwillig. Die Zahl der tatsächlichen oder von den Nazis als solche abgestempelten Regimegegner, die als „Schutzhäftlinge“ in den Gestapo-Gefängnissen und Konzentrationslagern saßen, wird für das letzte Kriegsjahr auf über 700.000 geschätzt, die der bis Kriegsende vollstreckten Todesurteile auf etwa 12.000.
In den Anfangsjahren der NS-Herrschaft ging der aktive Widerstand vor allem von den Kommunisten aus. Auch sozialdemokratische Gruppen versuchten, die Regimegegner aus dem Untergrund oder Exil zu unterstützen. Im bürgerlichen Lager waren es unter anderem Vertreter der beiden Kirchen, die sich der Gleichschaltungspolitik teilweise mit Erfolg widersetzten. Einige von ihnen wie der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer knüpften später Kontakte zum militärischen Widerstand. Die „Weiße Rose“, eine studentische Gruppe aus München um die Geschwister Hans und Sophie Scholl, wies ebenfalls einen christlichen Hintergrund auf. Sie hatte es bis zu ihrer Verhaftung im Februar 1943 geschafft, mit der Verteilung von insgesamt sechs Flugblättern zumindest einen Teil der Bevölkerung über den verbrecherischen Charakter des NS-Staates aufzuklären.
Zentrum des zivilen Widerstandes war der „Kreisauer Kreis“ um Helmuth James Graf von Moltke, der ab 1940 visionäre Ideen für eine den Nationalismus überwindende Neuordnung Deutschlands nach dem Krieg entwickelte. Die Gruppe um Claus Schenk Graf von Stauffenberg und den früheren Leipziger Oberbürgermeister Carl Goerdeler, die das Attentat auf Hitler und den Staatsstreich plante, blieb in ihren Vorstellungen dagegen nationalkonservativ geprägt, was ihnen manche Kritiker später verübelten. Nachdem Hitler den in der ostpreußischen „Wolfsschanze“ am 20. Juli 1944 durchgeführten Anschlag überlebt hatte und die in Berlin zeitgleich angelaufene „Operation Walküre“ nach wenigen Stunden zusammenbrach, wurden Stauffenberg und drei Mitverschwörer noch in derselben Nacht erschossen. Als vermeintliche Unterstützer des Attentats fielen bis Kriegsende weitere 200 Personen der Rache des NS-Regimes zum Opfer.
Die Rezeption des Widerstandes in der Nachkriegszeit verlief schleppend und wechselhaft. Während die Männer des 20. Juli in der antifaschistischen DDR als reaktionär galten, wirkte in der Bundesrepublik das von der NS-Propaganda gezeichnete Bild der Vaterlandsverräter nach. Erst mit dem Remer-Prozess setzte ab Mitte der 1950er Jahre eine positivere Deutung ein, die sich binnen kurzer Zeit in eine nahezu heldenhafte Verklärung steigerte. Andere, nicht minder bedeutsame Widerstandsgruppen wie die Kommunisten traten dadurch in den Hintergrund. So erfuhr zum Beispiel Georg Elser, der als Einzeltäter am 8. November 1939 im Münchener Bürgerbräukeller ein nur knapp gescheitertes Sprengstoffattentat auf Hitler und die NS-Führungsspitze verübt hatte, erst in den 1990er Jahren eine angemessene Würdigung. Mit dem umfangreichen Bild des Widerstands, das die Forschung vermittelt, hat sich die Erinnerungskultur seither verbreitert. Den verschiedenen Personen und Gruppen wird heute an vielen Stellen gedacht. Die herausgehobene Stellung des 20. Juli bleibt davon unberührt. Sie ist daran ablesbar, dass die zentrale Gedenk- und Dokumentationsstätte für den gesamten Widerstand im Berliner Bendlerblock seinen Sitz hat. In dessen Hof befindet sich auch das Ehrenmal für die dort hingerichteten Offiziere.
© Prof. Dr. Frank Decker (Universität Bonn)