Föderalismus

Der Föderalismus ist ein Prinzip der territorialen Herrschaftsorganisation. Durch ihn wird die horizontale Gewaltenteilung des Verfassungsstaates um eine vertikale Dimension ergänzt. Die dahinterstehende Idee lautet, wünschenswerte Vielfalt, die durch die Besonderheit der Gliedstaaten ermöglicht wird, mit notwendiger Einheitlichkeit zu verbinden. Der Begriff des Föderalismus ist weitgehend identisch mit dem des Bundesstaates, wie ihn auch das Grundgesetz verwendet. Dort ist er in Artikel 20 neben der Republik, dem Rechtsstaat, der Demokratie und dem Sozialstaat als konstitutives und nicht veränderbares Prinzip festgeschrieben.

Institutionell lässt sich das Bundesstaatsprinzip an drei Merkmalen festmachten. Erstens tragen die Gliedstaaten, in der Bundesrepublik also die Länder, Staatscharakter. Äußerlich ist das daran erkennbar, dass sie über ein abgegrenztes Staatsgebiet und diesem zugeordnetes Staatsvolk verfügen sowie eigene Verfassungen und Regierungssysteme unterhalten. Bezogen auf die Staatsgewalt müssen am Staatscharakter freilich Abstriche gemacht werden, weil die Länder sowohl nach außen (völkerrechtlich) als auch nach innen hin (gegenüber dem Gesamtstaat) in ihrer Souveränität beschränkt sind. Zudem verfügen sie über kein Austritts- oder Sezessionsrecht. Hier liegt der Unterschied des Bundesstaates zum Staatenbund (Konföderation), in der die Souveränität bei den Staaten verbleibt. Ein „Mittelding“ stellt die Europäische Union dar, in der die Souveränität zwischen der Unionsebene und den Mitgliedstaaten geteilt ist. Das Bundesverfassungsgericht hat sie deshalb treffend als „Staatenverbund“ bezeichnet.

Zweitens – und daraus abgeleitet – verfügen die Gliedstaaten im Bundesstaat über eigene Zuständigkeiten in der Gesetzgebung und Verwaltung, die sie entweder getrennt voneinander oder gemeinsam mit dem Gesamtstaat wahrnehmen. Charakteristisch für den deutschen Föderalismus ist das Verbundprinzip. Während der Bund bei der Gesetzgebung ein deutliches Übergewicht hat, kommt den Ländern die Hauptverantwortung für die Durchführung der Gesetze zu. Die funktionellen Zuständigkeiten sind so miteinander verschränkt. Dasselbe Prinzip gilt für die Finanzverfassung, wo das Recht, Steuern zu erheben, fast ausschließlich beim Bund liegt, während die Erträge zwischen Bund und Ländern aufgeteilt werden.

Die föderale Aufgabenverteilung erstreckt sich auch auf die Selbstverwaltung der Kommunen. Diese greift allerdings nicht bei den Aufgaben, die der Staat den Gemeinden überträgt, sondern nur bei „Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft“, worunter vor allem die öffentlichen Versorgungseinrichtungen fallen. Staatsrechtlich sind die Kommunen den Ländern zugeordnet, die im Rahmen der Kommunalverfassungen damit zugleich deren „Regierungssysteme“ regeln. Hier beschränkt sich das Grundgesetz auf die Vorgabe einer gewählten Volksvertretung. 

Zum Föderalismus gehört schließlich drittens ein Vertretungsorgan, über das die Gliedstaaten an der Gesetzgebung des Gesamtstaates beteiligtwerden. Diese Funktion obliegt im deutschen Regierungssystem dem Bundesrat.

Der Föderalismus der Bundesrepublik beruht auf historischer Tradition. Keine andere europäische Nation hatte so lange gebraucht, um ihre staatliche Einheit herzustellen wie die Deutschen (Deutsche Einheit). Die jahrhundertelange Vielstaaterei präjudizierte die föderale Form des → Nationalstaates, wie sie dann – vorweggenommen vom Norddeutschen Bund – in der Reichsgründung von 1871 Niederschlag fand. Der von Bismarck geschaffene Bundesstaat hatte allerdings infolge der Hegemonie Preußens, das in Bevölkerung und Fläche nahezu zwei Drittel des Reiches umfasste, einen schweren Geburtsfehler. Von daher bekam das System einen zunehmend zentralistischen Charakter, der sich unter der demokratischen Verfassung der Weimarer Republik noch verstärkte.

Mit der Gründung der Bundesrepublik konnten diese Mängel 1949 beseitigt und ein „symmetrischer“ Bundesstaat geschaffen werden, in dem die Länder – ungeachtet ihrer Größe – sowohl untereinander als auch gegenüber dem Bund in ihren Rechten gleichgestellt sind. Die historische Kontinuität des föderalen Systems lässt sich unter anderem an der „exekutivischen“ Struktur des Bundesrates und der Hauptzuständigkeit der Länder für die Verwaltung zuständig machen, die beide auf die Reichsgründung von 1871 zurückgehen. Sie lagen nahe, weil die sich zum Reich zusammenschließenden Königreiche und Fürstentümer über staatliche Strukturen ja bereits verfügten. 

Europaweit gehört Deutschland mit seiner föderalen Verfassung zu den Ausnahmen. Legt man die eben genannten Merkmale zugrunde, dann können lediglich die Schweiz, Österreich und – eingeschränkt – Belgien zu den Bundesstaaten gerechnet werden. Allerdings gibt es eine Reihe anderer Staaten, die ihr politischen System inzwischen „föderalisiert“ haben, indem sie Befugnisse des Zentralstaates auf Regionen oder Provinzen übertragen wie etwa das Vereinigte Königreich, Spanien oder Italien. Außerhalb Europas kommen einem als klassische Bundesstaaten die USA, Kanada oder Australien in den Sinn. In allen Fällen handelt es sich nicht zufällig um großflächige beziehungsfalle im Falle der USA zugleich bevölkerungsreiche Länder, was eine föderale Gliederung des Staatsgebietes nahe legt. Die Größe gibt auch einen Hinweis, warum sich diese Staaten in der Struktur des Föderalismus von den europäischen Vertretern zum Teil erheblich unterscheiden.

© Prof. Dr. Frank Decker (Universität Bonn)

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