Gewaltenteilungsprinzip
Das Konzept der Gewaltenteilung hat einen Doppelsinn, der bereits bei seinen ideengeschichtlichen Urhebern John Locke und Charles de Montesquieu angelegt war. Unter den „Gewalten“ sind danach einerseits unterschiedliche Funktionen bzw. Aufgaben der staatlichen Herrschaft zu verstehen. Daran knüpft Artikel 20 Absatz 2 des Grundgesetzes an, wenn er von der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung spricht. In der Fachsprache benutzt man dafür meistens die bedeutungsgleichen lateinischen Begriffe Legislative, Exekutive und Judikative.
Andererseits können sich diese Begriffe auch auf die Organe oder Institutionen beziehen, die die entsprechenden Funktionen verrichten beziehungsweise denen diese Funktionen zugeordnet sind. Das Grundgesetz spricht im erwähnten Artikel von „besonderen“ Organen der Gesetzgebung, ausführenden Gewalt und Rechtsprechung, was bedeutet, dass diese Organe „voneinander gesondert“, also förmlich getrennt sind. Dies heißt nicht, dass die Funktionen jeweils nur von einem der Organe ausgeübt werden müssen. Am deutlichsten lässt sich die gemeinsame Wahrnehmung der Gewalten in der Gesetzgebung festzustellen, an der sowohl die Legislative, die Exekutive als auch die Judikative (in Gestalt der Verfassungsgerichte) beteiligt sind. Für die Bundesrepublik könnte man sogar sagen, dass die Bundesregierung und das Bundesverfassungsgericht in der Gesetzgebung faktisch größeres Gewicht besitzen als der für den formalen Beschluss der Gesetze eigentlich zuständige Deutsche Bundestag.
Als Herrschaftskonzept des demokratischen Verfassungsstaates weist die Gewaltenteilung über das klassische Montesquieu’sche Modell hinaus. Neben der horizontalen (staatsrechtlichen) Gewaltenteilung umfasst sie zugleich die Bestellung der Ämter auf Zeit (temporale Gewaltenteilung), die vertikale Aufgliederung der Gewalt auf verschiedene territoriale Handlungseinheiten, zu denen neben Bund, Ländern und Kommunen in der Bundesrepublik auch die Europäische Union gehört (föderative Gewaltenteilung) und den gesellschaftlichen Pluralismus, also Parteien, Interessengruppen und die Öffentlichkeit (soziale Gewaltenteilung). Letzteres kann zum Beispiel zur Folge haben, dass private Akteure an der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben auch in rechtsetzender Form mitwirken, etwa im Rahmen der Tarifautonomie.
Wenn wir vom Regierungssystem oder der institutionellen Ordnung eines Landes sprechen, ist damit die Ausprägung der Gewaltenteilung in ihren verschiedenen Dimensionen gemeint. Diese macht sich an Aufbau und Funktionen der staatlichen beziehungsweise – wenn man die Parteien einbezieht – Verfassungsorgane fest, die das Grundgesetz in seinem staatsorganisatorischen Teilen (ab Artikel 20) regelt. Sie werden in weiteren Gesetzen und Verfahrensnormen unterhalb der Verfassung konkretisiert. Zu nennen sind hier insbesondere die Wahl- und Abstimmungsgesetze, das Parteiengesetz, die auf ihm basierenden Parteisatzungen und das Verfassungsgerichtsgesetz (Bundesverfassungsgericht, Partei/Parteiensystem, Wahlrecht).
Unter das Regierungssystem fallen aber auch nicht kodifizierte Verfassungskonventionen und die Verfassungspraxis. Zu den erstgenannten gehört zum Beispiel die seit der Weimarer Zeit geltende Bestimmung, wonach die stärkste Fraktion den Parlamentspräsidenten stellt. Die Bedeutung der Letzteren lässt sich unter anderem an den Modalitäten der Regierungs- und Koalitionsbildung ablesen.
© Prof. Dr. Frank Decker (Universität Bonn)