Besatzungszeit
Als Besatzungszeit bezeichnet man die knapp viereinhalb Jahre zwischen dem Kriegsende im Mai 1945 und der Gründung der beiden deutschen Staaten im September beziehungsweise Oktober 1949. Mit der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht am 8. Mai 1945 ging die Souveränität vollständig auf die vier Siegermächte – USA, Großbritannien, Frankreich und Sowjetunion – über. Ausgeübt wurde sie durch den zu diesem Zwecke eingerichteten Alliierten Kontrollrat zunächst noch weitgehend gemeinsam, erstreckte sich dann aber im aufziehenden Kalten Krieg immer mehr und am Ende sogar ausschließlich auf die einzelnen Besatzungszonen. In den von den USA, Großbritannien und Frankreich gebildeten Westzonen entstand schließlich 1949 die Bundesrepublik, während aus der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) die DDR hervorging.
Ausgehend von den Reichsgrenzen von 1937, hatten sich die „Großen Drei“ – Truman, Churchill / Attlee und Stalin – auf der Potsdamer Konferenz im Juli/August 1945 darauf verständigt, die deutschen Gebiete östlich von Oder und Neiße unter polnische Verwaltung zu stellen. Der südliche Teil Ostpreußens wurde ebenfalls Polen, das nördliche Gebiet um Königsberg der Sowjetunion zugeschlagen. Zusammen umfassten die verlorenen Territorien etwa ein Viertel des Reiches. Den Rest des Landes gliederte man in vier Zonen, die inmitten der sowjetischen Zone gelegene Reichshauptstadt Berlin analog dazu in vier Sektoren. Dort reproduzierte sich die spätere Teilung Deutschlands. Das aus den Westsektoren gebildete Berlin (West) wurde politisch und wirtschaftlich in die Bundesrepublik eingegliedert und Ost-Berlin als deren Hauptstadt in die DDR.
Die auf der Potsdamer Konferenz vereinbarten vier D’s – Demilitarisierung, Dezentralisierung, Demokratisierung und Denazifizierung – sollten den Deutschen den Geist des Nationalsozialismus austreiben. In den Westzonen wurden sie zu Beginn vor allem von den US-Amerikanern konsequent verfolgt, ablesbar etwa an der Zerschlagung der Rüstungskartelle oder den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen. Die breiter angelegten Entnazifizierungsverfahren, die auch die nachgeordneten Funktionsträger ins Visier nahmen, stießen dagegen bei den Deutschen auf Widerstand und versandeten relativ bald – genauso wie die beabsichtigten Reformen im Erziehungswesen oder Öffentlichen Dienst. Erfolgreicher waren die Alliierten bei der Neuordnung des Presse- und Rundfunkwesens und der Wiederzulassung der Parteien. Die Verantwortung für den Wiederaufbau eines demokratischen Staates konnte so schon ab 1946 schrittweise in deutsche Hände zurückverlagert werden.
Als glückliche Fügung für die spätere Bundesrepublik erwies sich die Ost-West-Konfrontation. Um ein Abdriften der Westdeutschen in den sowjetischen Machtbereich zu verhindern, galt es ihre Unterstützung zu gewinnen. Anstelle einer wirtschaftlichen Schwächung sollte deshalb jetzt ein möglichst rascher Wiederaufbau das Ziel sein. Die Demontagen wurden eingestellt und mit dem Marshallplan ein umfangreiches Investitionsprogramm aufgelegt. Nach dem 1947 erfolgten Zusammenschluss der amerikanischen und britischen Zone zur „Bizone“ bereiteten die Alliierten der Schaffung eines einheitlichen Wirtschafts- und Währungsraums in Westdeutschland den Weg. Dieser sollte zur Grundlage der nachfolgenden Staatsgründung und des in den 1950er-Jahren einsetzenden „Wirtschaftswunders“ werden.
In der Sowjetischen Besatzungszone fanden dagegen umfangreiche Demontagen statt, die einen Wiederaufbau erschwerten und die massive ökonomische Abhängigkeit der DDR vom „großen Bruder“ in Moskau vorwegnahmen. Mit der Ende 1945 eingeleiteten Bodenreform stellte man die Weichen für ein auf Volkseigentum und Zentralverwaltung basierendes sozialistisches Wirtschaftssystem nach sowjetischem Vorbild. Anders als die Enteignungen in der DDR wurde die Bodenreform von der Bundesrepublik 1990 politisch rechtlich nicht in Frage gestellt, um die Zustimmung der Sowjetunion zur Wiedervereinigung zu erlangen.
Vor der doppelten Staatsgründung im September/Oktober 1949 bildeten sich in beiden Teilen Deutschlands ab 1946 zunächst die Länder – elf im Westen und fünf im Osten. Das Grundgesetz, das vom Parlamentarischen Rat 1948 und 1949 erarbeitet wurde, trat am 23. Mai 1949 in Kraft. Am 14. August 1949 fand die erste Bundestagswahl statt, auf deren Grundlage sich dann im September die staatlichen Organe (Bundestag, Bundesrat, Bundespräsident und Bundesregierung) nacheinander konstituierten. In der DDR wurde die Verfassung, deren erster Entwurf bereits 1946 vorlag, am 7. Oktober 1949 in Kraft gesetzt – dieser Tag galt seither offiziell als ihr Gründungsdatum.
Auch nach Gründung der Bundesrepublik behielten sich die Alliierten im Besatzungsstatut bestimmte Rechte vor. Erst mit dem 1954 in Kraft getretenen Deutschlandvertrag erhielt sie die völkerrechtliche Souveränität nahezu vollständig zurück. Nur in West-Berlin galten die Einschränkungen bis zum Zwei-plus-vier-Vertrag weiter, der 1991 den Schlussstrich unter die Teilung Deutschlands zog. Im Unterschied zur Bundesrepublik blieb die Souveränität der DDR in der ganzen Zeit ihrer Existenz durch die sowjetische Vormacht eingeschränkt. Sichtbar gemacht wurde dies durch die starke Präsenz russischer Streitkräfte, die mit bis zu 600.000 Mann das größte jemals von einer Besatzungsmacht im Ausland unterhaltene Truppenkontingent stellten. Erst als 1994 der letzte russische Soldat das Land verließ, war die Besatzungszeit auch für die Ostdeutschen endgültig vorüber.
© Prof. Dr. Frank Decker (Universität Bonn)