Tarifautonomie
Das Aushandeln von Löhnen und Arbeitsbedingungen obliegt in einer freiheitlichen Demokratie den Tarifparteien, also Unternehmen und Gewerkschaften, nicht dem Staat. Dieses – als Tarifautonomie – bezeichnete Prinzip wird durch die Koalitionsfreiheit gemäß Artikel 9 des Grundgesetzes verfassungsrechtlich geschützt. Darin eingeschlossen ist die Gewährleistung des Streikrechts für die Arbeitnehmerseite und des Rechts auf Aussperrung für die Arbeitgeber. Letzteres unterbindet die Unternehmen im Streikfalle von der Lohnfortzahlungspflicht. Konkretisiert wird die Koalitionsfreiheit im Tarifvertragsrecht und Betriebsverfassungsrecht.
Die Tarifautonomie ist eine deutsche Erfindung. Ihr geistiger Schöpfer, der Verfassungsrechtler und SPD-Politiker Hugo Sinzheimer, dürfte bis heute nur wenigen bekannt sein. Sinzheimers Idee der „sozialen Selbstbestimmung im Recht“ gewann maßgeblichen Einfluss auf die Ausgestaltung des Tarifvertragsrechts in der Weimarer Republik, das die autonome Rechtsetzungsbefugnis durch die Tarifpartner erstmals verankerte und später auch anderen Ländern als Vorbild diente. In der Bundesrepublik wurde das System zu einem zentralen Bestandteil ihres wirtschaftlichen Erfolgsmodells. Indem es den Beschäftigten stetig steigende Löhne und Einkommen bescherte (bei gleichzeitig kürzerer Arbeitszeit), trug es zum breiten Wohlstand der Massen und zur gesellschaftlichen Befriedung bei. Letzteres zeigte sich unter anderem an einer im internationalen Vergleich geringen Streikhäufigkeit.
© Prof. Dr. Frank Decker (Universität Bonn)