Soziale Marktwirtschaft

Einen wesentlichen Teil der Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik bildet neben der gelungenen Verfassung und ihrer festen Verankerung im Kreis der westlichen Demokratien die Soziale Marktwirtschaft. Der Begriff geht auf den Kölner Wirtschaftsprofessor Alfred Müller-Armack zurück, der als Leiter der Grundabsatzabteilung im Wirtschaftsministerium später zum wichtigsten Weggefährten Ludwig Erhards wurde. Vor seiner Amtszeit als Wirtschaftsminister, die ihn mit dem Motto „Wohlstand für alle“ zum Mythos machte, war Erhard Direktor des Wirtschaftsamtes der Bizone gewesen (Besatzungszeit). Dort hatte er durch die mit der Währungsreform verfügte Aufhebung der staatlichen Preisbewirtschaftung die Weichen für eine im Grundsatz liberale, kapitalistische Wirtschaftsordnung bereits gestellt. 

Das – mal groß oder mal klein geschriebene – Attribut „sozial“ ist in Verbindung mit der Marktwirtschaft nicht gleichbedeutend mit dem vom Grundgesetz verbürgten Sozialstaatsprinzip. Die Urheber des Konzepts, das auf die sogenannte ordoliberale Freiburger Schule um Walter Eucken und Alexander Rüstow zurückging, wollten vielmehr einen „dritten“ Weg der Wirtschaftspolitik zwischen einer staatlich gelenkten Plan- oder Gemeinwirtschaft und einem reinen „Laisser faire“-Kapitalismus einschlagen. Die Hauptaufgabe des Staates wurde darin gesehen, einen Ordnungsrahmen bereitzustellen und durch die Unterbindung wirtschaftlicher Machtballungen das Funktionieren des Wettbewerbs sicherzustellen. Seine Eingriffe sollten die Marktgesetze also nicht zurückdrängen, sondern ihnen gerade Geltung verschaffen. Wirtschaftspolitik war gemäß dieser Sichtweise in erster Linie Ordnungspolitik.

In Reinform setzte sich das Leitbild der Sozialen Marktwirtschaft, das nach den Unionsparteien (CDUCSU) später auch die SPD übernahm, allerdings nie durch. Dafür sorgten zum einen der Sozialstaat, zum anderen die Schaffung und Aufrechterhaltung eines breiten öffentlichen Sektors. Während die Sozialpolitik in den 1950er-Jahren trotz anderslautender Rhetorik expandierte – insbesondere die 1957 vorgenommene Rentenform markierte hier einen Meilenstein –, mischte der Staat in vielen Bereichen der Wirtschaft kräftig mit. Im Verkehrswesen, beim Wohnungsbau und in der Energiewirtschaft galten die Marktgesetze nicht oder nur eingeschränkt. Auch die steuerpolitischen Eingriffe zugunsten der Exportindustrie, die Ausnahmeregelungen in der Kartellgesetzgebung und die Vergemeinschaftung der Agrarpolitik auf europäischer Ebene widersprachen der reinen Lehre der Marktwirtschaft.

Maßgeblich gestützt wurde das vom französischen Ökonom Michel Albert als „Rheinischer Kapitalismus“ bezeichnete deutsche Wirtschaftsmodell durch das partnerschaftliche Zusammenwirken von Unternehmen und Gewerkschaften. Neben der Tarifautonomie spielte hier vor allem die Mitbestimmungeine wichtige Rolle. Mit der Hinwendung zum Keynesianismus ab Mitte der 1960er-Jahre übernahm der Staat eine stärkere Rolle bei der „Globalsteuerung“ des Wirtschaftsgeschehens, die aber schon bald an finanzielle Grenzen stieß. In den 1980er-Jahren gewann das „neoliberale“ Paradigma der Angebotspolitik an Boden. Während der Markt in vormals öffentlich oder gemischtwirtschaftlich organisierte Bereiche vordrang, verstärkten die unter dem Druck des globalen Wettbewerbs vorgenommenen Steuersenkungen und Liberalisierungen des Arbeitsmarktes die Einkommensungleichheit. Mit den brüchiger werdenden Beziehungen zwischen Unternehmen, Gewerkschaften und Staat fällt es der Politik seither schwerer, den Grundkonsens über die Sozial- und Wirtschaftsordnung aufrechtzuhalten.

© Prof. Dr. Frank Decker (Universität Bonn)

Übersicht
Quiz

Datenschutzhinweise & Cookie-Einstellungen

Wir verwenden Cookies, um Ihnen die Inhalte und Funktionen der Website bestmöglich anzubieten. Darüber hinaus verwenden wir Cookies zu Analyse-Zwecken.

Zur Datenschutzerklärung und den Cookie-Einstellungen.

Allen zustimmenEinstellungen

Datenschutzhinweise & Cookie-Einstellungen

Bitte beachten Sie, dass technisch erforderliche Cookies gesetzt werden müssen, um wie in unseren Datenschutzhinweisen beschrieben, die Funktionalität unserer Website aufrecht zu erhalten. Nur mit Ihrer Zustimmung verwenden wir darüber hinaus Cookies zu Analyse-Zwecken. Weitere Details, insbesondere zur Speicherdauer und den Empfängern, finden Sie in unserer Datenschutzerklärung. In den Cookie-Einstellungen können Sie Ihre Auswahl anpassen.

PHP Sitzung
Das Cookie PHPSESSID ist für PHP-Anwendungen. Das Cookie wird verwendet um die eindeutige Session-ID eines Benutzers zu speichern und zu identifizieren um die Benutzersitzung auf der Website zu verwalten. Das Cookie ist ein Session-Cookie und wird gelöscht, wenn alle Browser-Fenster geschlossen werden.
ReadSpeaker
Mit Hilfe des ReadSpeaker webReader können Sie sich Inhalte auf dieser Webseite laut vorlesen lassen.
Google Maps
Google Maps ist ein Karten-Dienst des Unternehmens Google LLC, mit dessen Hilfe auf unserer Seite Orte auf Karten dargestellt werden können.
YouTube
YouTube ist ein Videoportal des Unternehmens Google LLC, bei dem die Benutzer auf dem Portal Videoclips ansehen, bewerten, kommentieren und selbst hochladen können. YouTube wird benutzt um Videos innerhalb der Seite abspielen zu können.
Vimeo
Vimeo ist ein Videoportal des Unternehmens Vimeo, Inc., bei dem die Benutzer auf dem Portal Videoclips ansehen, bewerten, kommentieren und selbst hochladen können. Vimeo wird benutzt um Videos innerhalb der Seite abspielen zu können.
Google Analytics
Google Analytics installiert die Cookie´s _ga und _gid. Diese Cookies werden verwendet um Besucher-, Sitzungs- und Kampagnendaten zu berechnen und die Nutzung der Website für einen Analysebericht zu erfassen. Die Cookies speichern diese Informationen anonym und weisen eine zufällig generierte Nummer Besuchern zu um sie eindeutig zu identifizieren.
Matomo
Matomo ist eine Open-Source-Webanwendung zur Analyse des Nutzerverhaltens beim Aufruf der Website.