Friedliche Revolution
Als Friedliche Revolution bezeichnet man den Zusammenbruch des kommunistischen SED-Regimes in der DDR, der sich in einem Zeitraum von etwa sechs Monaten zwischen Mai und November 1989 vollzogen hat. Die Kommunalwahlen vom 7. Mai und der Mauerfall am 9. November können dabei als Start- und vorläufiger Endpunkt markiert werden – vorläufig deshalb, weil zum Zeitpunkt der Grenzöffnung noch nicht absehbar war, dass am Ende des anschließenden Übergangsprozesses der Beitritt der DDR zur Bundesrepublik stehen würde (Deutsche Einheit). Neben Friedliche Revolution wird manchmal auch der Begriff der „Wende“ verwendet, der aber die Tragweite des Systemwechsels nicht richtig verdeutlicht und zudem Verwechselungsfahr mit einem demokratischen Macht- oder Regierungswechsel birgt. (So wurde zum Beispiel der Wechsel von der sozialliberalen zur christlich-liberalen Koalition 1982 als Bonner „Wende“ bezeichnet.)
Die Friedliche Revolution war Teil einer umfassenderen Umsturzbewegung, die seit den 1980er Jahren alle Länder des seinerzeitigen Ostblocks erfasste und zur Beendigung der kommunistischen Herrschaft führte. Wenn er in dieser Form nur für die Entwicklung in der DDR übernommen wurde, lag das daran, dass der friedliche Übergang zur Demokratie hier weniger selbstverständlich war als zum Beispiel in Polen, Ungarn oder der Tschechoslowakei, die schon vorher begonnen hatten, sich von den Fesseln der Fremdherrschaft zu lösen. Das einzige Land, in dem der Umsturz nicht gewaltfrei und ohne Blutvergießen verlief, war Rumänien.
Die langfristigen Ursachen des Umsturzes lagen in der fehlenden Legitimität des kommunistischen Systems und den sich in den 1980er Jahren verschärfenden ökonomischen Problemen. Beides trat in der DDR durch den Vergleich mit der Bundesrepublik schärfer hervor als in den anderen Ostblockländern. Das Regime hätte vermutlich dennoch weiter existieren können, wenn nicht mit dem Machtantritt Michael Gorbatschows 1985 eine zentrale Überlebensbedingung entfallen wäre, nämlich die als „Breschnew-Doktrin“ bezeichnete Zusicherung der Sowjetunion, die kommunistische Herrschaft in den Bruderländern notfalls auch mit militärischen Mitteln zu sichern. Als Gorbatschow erklärte, jedes Land müsse jetzt seinen eigenen Weg gehen, begann ein Reform- und Öffnungsprozess, dem sich die SED-Führung – trotz aller Bemühungen – am Ende nicht mehr entgegenstemmen konnte.
Der Kollaps des Regimes binnen weniger Monate verdankte sich dem Zusammenspiel von „Abwanderung und Widerspruch“. Als Ungarn Anfang Mai 1989 den Grenzzaun zu Österreich abbaute, nutzten Tausende von DDR-Bürgern die Gelegenheit, um über die sozialistischen Nachbarstaaten in die Bundesrepublik zu fliehen. Die Unzufriedenen, die noch im Land verblieben, fühlten sich dadurch ermutigt, ihren Unmut gegenüber dem Regime immer offener kundzutun, wobei die Fälschungen bei den ebenfalls Anfang Mai stattfindenden Kommunalwahlen als Katalysator wirkten. Die SED-Führung verstärkte daraufhin die Repression. Ihr Schulterschluss mit der chinesischen KP nach der blutigen Niederschlagung der Studentenproteste in Peking am 4. Juni 1989 war eine unverhüllte Drohung in Richtung der Demonstrierenden, die aber nicht verhindern konnte, dass die Menschen in Leipzig und anderen Städten jetzt auf die Straße gingen und die Versammlungen von Woche zu Woche größer wurden (Montagsdemonstrationen).
Die geballten Ereignisse von Ende September bis Mitte Oktober sollten den Triumph der Friedlichen Revolution besiegeln. Am 30. September teilte Außenminister Hans Dietrich Genscher den rund 4.000 DDR-Bürgern, die in die Prager Botschaft der Bundesrepublik geflüchtet waren, vor Ort unter tosendem Jubel mit, dass das Regime in ihre Ausreise eingewilligt habe. Am 7. Oktober übte Michail Gorbatschow im Rahmen der von Protesten begleiteten Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der DDR offene Kritik am mangelnden Reformwillen der SED. Und am 9. Oktober verzichtete die Staatsmacht beim bis dahin größten Aufmarsch in Leipzig auf ein Einschreiten gegen die Demonstranten. Um ihre Herrschaft zu retten, waren die vermeintlich reformwilligeren Kräfte in der SED um Egon Krenz jetzt bereit, Zugeständnisse zu machen und in einen Dialog mit der Bevölkerung einzutreten.
Die Ablösung Erich Honeckers durch Krenz konnte den Machtverfall der SED allerdings nicht mehr aufhalten. Am 7. November trat die Regierung und am 3. Dezember das Politbüro (Krenz eingeschlossen) zurück. Die chaotischen Zustände in der Führung waren auch ein Grund für die Kommunikationspanne, die am 9. November zur voreiligen Verkündung der Grenzöffnung führte. Die Bilder von den jubelnden Menschen in Berlin machten das Ende des SED-Regimes für alle sichtbar. Dennoch war die Partei auch in der Folgezeit nicht bereit, ihre Macht freiwillig abzugeben. Die Demonstrationen rissen deshalb nicht ab. Gleichzeitig schossen Bürgerinitiativen und neue gegründete Parteien aus dem Boden. Zu ihnen gesellten sich Streiks und Besetzungen, die vor allem die verhasste Staatsicherheit betrafen. Die symbolhafte Stürmung der Stasi-Zentrale am 16. Januar 1990 zwang Ministerpräsident Hans Modrow, die Vertreter der oppositionellen Bürgerbewegungen auch formal an der Regierung zu beteiligen. Schon zuvor war mit der Einrichtung des Zentralen Runden Tisches ein wichtiger Schritt im Prozess der Demokratisierung erfolgt, der am 18. März 1990 in die erste (und letzte) freie Volkskammerwahl münden sollte.
© Prof. Dr. Frank Decker (Universität Bonn)