Runder Tisch

Als Runde Tische bezeichnet man Institutionen der politischen Beratung („Deliberation“) und vorbereitenden Willens- und Entscheidungsbildung. Sie treten in Demokratien an die Seite (nicht an die Stelle) der regulären Institutionen Entscheidungsverfahren und werden häufig anlassbezogen zeitlich begrenzt für einen bestimmten Zweck eingesetzt. Darin ähneln sie anderen Verfahren der ergänzenden Bürgerbeteiligung, etwa den Bürgerräten. Mit der Bezeichnung Runder Tisch soll die Gleichberechtigung aller Teilnehmer – einschließlich der Moderatoren – symbolisiert werden, die natürlich auch in einer nicht kreisförmigen Sitzordnung gegeben sein kann. Bei den Teilnehmern handelt es sich in der Regel um Vertreter von Interessengruppen und der organisierten Zivilgesellschaft. Auch Abgeordnete, Parteien und Regierungsvertreter sind meistens beteiligt. 

Jenseits des normalen demokratischen Prozesses können Runde Tische in Zeiten des Systemwechsels eine wichtige Funktion übernehmen. Beginnend mit Polen, wo die Einrichtung des Runden Tisches im Februar 1989 die Grundlage für die schrittweise Beendigung der kommunistischen Herrschaft bildete, begleiteten sie 1989 und 1990 in mehreren mittel- und osteuropäischen Ländern den Weg in die Demokratie, etwa in Ungarn, Bulgarien oder der DDR. indem sie die Vertreter des alten Regimes mit den oppositionellen Bürgerrechtlern zusammenbrachten, trugen die Runden Tische mit dazu bei, dass der Machtübergang friedlich und in geregelten Bahnen verlief (Friedliche Revolution).

In der DDR konstituierte sich der „Zentrale Runde Tisch“ kurz nach dem Mauerfall. Vom Dezember 1989 bis zur ersten (und letzten) freien Volkskammerwahl im März 1989 traf er insgesamt 16 Mal zusammen. Von den 38 Sitzen entfielen die Hälfte auf die Oppositionsgruppen, die sich in der Wendezeit in rascher Folge gebildet hatten. Repräsentanten der Evangelischen Kirche, die sich bereits in der DDR mit dem Regime hatten arrangieren müssen, übernahmen die Moderation. Auch in den Bezirken und auf lokaler Ebene entstanden im selben Zeitraum zahlreiche Runde Tische.

Nachdem in der Anfangsphase des Zentralen Runden Tisches die von den Bürgerrechtlern geforderte Auflösung  und Entwaffnung des DDR-Staatssicherheitsdienstes die Beratungen dominierte, stand in den späteren Sitzungen die Frage der künftigen Gestalt der DDR im Mittelpunkt. Die Annahme, diese könne als eigenständiger Staat an der Seite der Bundesrepublik weiter existieren, entpuppte sich freilich als Illusion. Als der von einer Arbeitsgruppe des Runden Tisches vorgelegte Entwurf einer neuen Verfassung im April 1990 fertig war, sah die Volkskammer keine Notwendigkeit mehr, sich damit zu beschäftigen. Der  Zug in Richtung deutsche Einheit war zu dieser Zeit längst abgefahren.

© Prof. Dr. Frank Decker (Universität Bonn)

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