Feiertage
Neben Flagge und Hymne gehören Feiertage zu den wichtigsten Staats- und Nationalsymbolen. Auch hier gestaltete sich die Suche in Deutschland über die verschiedene Regime und Epochen hinweg schwierig und wechselhaft. Von den verschiedenen, miteinander rivalisierenden Gedenk- und Festtagen im Kaiserreich – Sedantag, Kaisers Geburtstag, Tag der Kaiserproklamation in Versailles – hatte sich keiner als offizieller Feiertag durchgesetzt. In der Weimarer Republik stellte die Bestimmung des Verfassungstages vom 11. August 1919 zum Staatsfeiertag eine Verlegenheitslösung dar, weil sich Konservative und Sozialdemokraten nicht einigen konnten: Die Erstgenannten hätte gerne am Tag der Reichsgründung (18. Januar) festgehalten, die Letztgenannten präferierten den 9. November – den Tag der Revolution von 1918. Der Verfassungstag wurde allerdings von der Bevölkerung kaum angenommen – entsprechend blutleer verliefen die Feiern. Sein geringer Rang war auch daran ablesbar, dass er im Unterschied zu den von der Verfassung als „Tage der Arbeitsruhe“ garantierten christlichen Feiertagen kein arbeitsfreier Tag war.
Als zweiter politischer Feiertag neben dem Nationalfeiertag ist bis heute der 1. Mai erhalten geblieben – er war als „Tag der Arbeit“ 1933 ausgerechnet von den Nationalsozialisten eingeführt und arbeitsfrei gestellt worden. Während man in der DDR den Tag der Staatsgründung (den 7. Oktober 1949) zum Nationalfeiertag bestimmte, tat sich die Bundesrepublik mit der Suche nach einem geeigneten Datum schwer. Erst der Volksaufstand in der DDR am 17. Juni 1953 schuf eine günstige Gelegenheit. Als „Tag der deutschen Einheit“ wurde er von der Bundesrepublik bereits im folgenden Jahr zum gesetzlichen Feiertag erhoben. Dass dies vor allem auf Betreiben der SPD geschah, ist mit Blick auf die spätere Entwicklung nicht ohne Ironie. Denn im Zuge des aufkommenden Entspannungsklimas waren es gerade die Sozialdemokraten, die schon in den 1960er-Jahren vom „Tag der deutschen Einheit“ abzurücken begannen und ihn für nicht mehr zeitgemäß hielten.
Als vermeintlich passenderer Nationalfeiertag wurde in den 1980er-Jahren der 23. Mai, der Tag der Verkündung des Grundgesetzes, vermehrt ins Spiel gebracht. So wenig sich die Deutschen für den 17. Juni erwärmten, so wenig allgemeine Begeisterung löste der Versuch aus, das überkommene → Nationsverständnis auf einen „Verfassungspatriotismus“ zu reduzieren. Insofern war es eine gute Fügung, dass sich mit der Lösung der deutschen Frage 1989/90 auch die Feiertagsfrage erledigte.
Die Entscheidung, den 3. Oktober als neuen „Tag der deutschen Einheit“ an die Stelle des 17. Juni zu setzen, war historisch folgerichtig und deshalb nicht wirklich kontrovers. Dem Datum, an dem der Beitritt der DDR zur Bundesrepublik förmlich vollzogen wurden, fehlte zwar die Ereignisträchtigkeit des 17. Juni 1953 oder 9. November 1989, als die Berliner Mauer fiel. Er markierte aber mit der durch den Zwei-plus-vier -Vertrag auch außenpolitisch anerkannten Vereinigung den logischen End- und Zielpunkt des – von Heinrich August Winkler so beschriebenen – „langen Wegs nach Westen“, den Deutschland seit dem 18. Jahrhundert zurückgelegt hatte (Deutsche Einheit).
Der 9. November wäre als Alternative schon deshalb nicht in Betracht gekommen, weil er neben dem Mauerfall auch die Erinnerung an andere, weniger ruhmreiche historische Ereignisse, die zufällig auf dasselbe Datum fallen, zum Gegenstand einer Feier gemacht hätte: den Zusammenbruch des Kaiserreiches 1918, den gescheiterten Hitlerputsch 1923 und die Pogromnacht 1938. Den tiefen Schatten der deutschen Geschichte trägt die Bundesrepublik durch eine Reihe von zusätzlichen offiziellen und nichtoffiziellen Gedenktagen Rechnung, die neben den Nationalfeiertag treten. Letzterer wird von den Deutschen ähnlich wie der 17. Juni eher distanziert betrachtet und vor allem als arbeitsfreier Tag geschätzt. Ob man dem durch eine bessere Einbeziehung der Bevölkerung in die – reihum von den Bundesländern ausgerichteten – Feierlichkeiten, entgegenwirken könnte, bleibt zweifelhaft.
© Prof. Dr. Frank Decker (Universität Bonn)