Europäische Union

Die Europäische Union (EU) ist ein wirtschaftlicher und politischer Zusammenschluss von 27 europäischen Ländern. Ihren Namen trägt sie seit dem Inkrafttreten des Maastrichter Vertrags 1993, der die 1952 beziehungsweise 1957 von sechs Staaten gegründeten drei Europäischen Gemeinschaften – die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und die Europäische Atomgemeinschaft (EURATOM) mit der neu eingerichteten Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) als zweiter und der Zusammenarbeit in der Justiz- und Innenpolitik als dritter Säule – unter einem Dach zusammenführte. Nachdem die ursprüngliche Sechsergemeinschaft in mehreren Beitrittsrunden auf 28 Staaten erweitert wurde, machte mit Großbritannien 2020 zum ersten Mal ein Land von der Möglichkeit des Austritts Gebrauch („Brexit“). Dem stehen sieben Länder gegenüber, die einen Aufnahmeantrag gestellt haben und nach Prüfung von der EU als „Beitrittskandidaten“ anerkannt worden sind.

Die Schaffung und Weiterentwicklung der Europäischen Gemeinschaften bezeichnet man als europäische Integration. In Deutschland ist diese Teil der Staatsräson – die Verpflichtung, „als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden in der Welt zu dienen“, steht gleich im ersten Satz der Präambel des Grundgesetzes. Genauer gefasst wird sie in Artikel 23, der als „Europaartikel“ 1992 an die Stelle des nach der deutschen Einheit obsolet gewordenen „Beitrittsartikels“ getreten ist. Dort sind zum einen die allgemeinen Bedingungen festgeschrieben, unter denen die Bundesrepublik Hoheitsrechte auf die EU übertragen kann. Zum anderen wird geregelt, wie Bundestag und Bundesrat an den europäischen Angelegenheiten zu beteiligen sind.

Die europäische Integration ergänzt die innerstaatliche Aufteilung von Gesetzgebungszuständigkeiten zwischen Bund und Ländern um eine zwischenstaatliche oder supranationale Aufteilung zwischen der nationalen und europäischen Ebene. Das Bundesverfassungsgericht hat die EU als Staatenverbund charakterisiert, was noch kein richtiger Bundesstaat ist, aber mehr als ein Staatenbund (Föderalismus). In der politikwissenschaftlichen Fachliteratur spricht man vom „Mehrebenensystem“. Durch die Übertragung von Hoheitsrechten und Gesetzgebungszuständigkeiten auf die EU werden die nationalen Regierungssysteme „europäisiert“.

Die EU verfügt inzwischen auf so vielen Feldern über Rechtsetzungsmacht, dass ihr das quasistaatliche Attribute verleiht. Hauptausgangspunkt ist dabei die Regulierung des Binnenmarktes, die vom Wettbewerbsrecht über die Wirtschafts- und Fiskalpolitik hin zum Umwelt-, Gesundheits- und Verbraucherschutz in nahezu alle Bereiche der klassischen nationalen Staatstätigkeit hineinragt. Die EU möchte damit den freien Verkehr von Personen, Waren, Dienstleistungen und Kapital – die vier sogenannten Grundfreiheiten – gewährleisten. Ihren Charakter als Rechtsgemeinschaft entfaltet die EU erstens dadurch, dass sie Verordnungen erlassen kann und diese in den Mitgliedsländern unmittelbar gelten. Zweitens besitzt sie eine Art Rahmengesetzgebungsrecht in Gestalt der Richtlinien, die von den Mitgliedsländern legislativ umgesetzt, das heißt in eigenes Recht übertragen werden müssen. Und drittens ist die Zuständigkeit für die Normenkontrolle im Bereich der europarelevanten Gesetzgebung auf den Europäischen Gerichtshof übergegangen. Dieser – und nicht das Bundesverfassungsgericht – hat zu entscheiden, ob eine nationale mit einer gemeinschaftlichen Regelung vereinbar ist.

Laut Schätzungen gehen in der Bundesrepublik heute etwa 40 Prozent der auf nationaler Ebene beschlossenen Gesetze auf EU-Regelungen zurück. Das Unbehagen an dieser Entwicklung rührt daher, dass mit der wachsenden Bedeutung der europäischen Gesetzgebung keine gleichlautende demokratische Qualität der EU einhergeht. So wie die Insignien der Staatlichkeit bei den nationalen Mitgliedstaaten verbleiben, bilden diese weiterhin die wichtigste Legitimationsquelle der Integrationspolitik. Folgt man der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, darf die Übertragung von Zuständigkeiten auf die europäische Ebene nicht so weit gehen, dass sie den unantastbaren Kern der nationalen Demokratie und Verfassungsstaatlichkeit aushöhlt. Wo diese Grenze im Einzelnen liegt, bleibt jedoch eine verfassungsrechtlich und -politisch offene Frage.

Die EU mag keine voll ausgebildete Demokratie sein, verfügt aber über ein gewaltenteiliges Regierungssystem, das den Systemen auf nationaler Ebene in mancher Hinsicht ähnelt, in anderer Hinsicht von ihnen abweicht. Letzteres gilt zum Beispiel für die herausgehobene Stellung des Ministerrates (offiziell: Rat der EU), obwohl das Parlament diesem heute als Mitentscheidungs- und Beschlussorgan weitgehend gleichgestellt ist, für die die aus Vertretern aller Mitgliedstaaten zusammengesetzte und mit einem Monopol der Gesetzesinitiative ausgestatte Kommission, welche die Funktion der Exekutive wahrnimmt, sowie für die Sitzverteilung im Parlament, die die kleineren, bevölkerungsschwachen Länder gegenüber den großen begünstigt und damit gegen den demokratischen Gleichheitsgrundsatz verstößt. Kritisiert wird auch, dass der Präsident oder die Präsidentin der Kommission trotz der vertraglich vorgeschriebenen förmlichen Wahl durch das Parlament de facto weiterhin von den Staats- und Regierungschefs im Europäischen Rat bestimmt wird, der das Nominierungsrecht besitzt.

© Prof. Dr. Frank Decker (Universität Bonn)

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