Bundesrat
Der Bundesrat ist eines der obersten Bundesorgane neben Bundestag, Bundesregierung, Bundespräsident und Bundesverfassungsgericht. Über ihn wirken die Länder, wie es in Artikel 50 des Grundgesetzes heißt, „bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes und in Angelegenheiten der Europäischen Union mit“. Anders als gelegentlich behauptet, stellt der Bundesrat keine zweite Kammer des Parlaments dar; als eigenständiges Bundesorgan steht er vielmehr formal gleichberechtigt neben dem Bundestag. Faktisch gebührt diesem in der Gesetzgebung freilich der Vorrang, da die Gesetzesbeschlüsse von ihm ausgehen und der Bundesrat nur bei einem Teil der Gesetze über ein Vetorecht verfügt.
Der Bundesrat ist keine parlamentarische Kammer, sondern ein Vertretungsorgan der Länderexekutiven. In ihm sitzen also keine gewählten Abgeordneten, sondern entsandte Mitglieder der insgesamt 16 Landesregierungen. Im Plenum sind das der Ministerpräsident und die Minister, in den Ausschüssen Beamte. Bei den Beratungen und Abstimmungen sind diese Vertreter anders als Abgeordnete nicht frei, sondern an den Willen der Landesregierungen gebunden. Die Stimmen, die den Ländern zugeordnet sind, können aus diesem Grunde nur einheitlich abgegeben werden. Wie das geschieht, legt die Landesregierung vorher fest. Die Landesparlamente haben auf das Stimmverhalten keinen Einfluss – sie werden darüber lediglich informiert.
Die Stimmverteilung ist nach der Bevölkerungsgröße abgestuft. Länder mit weniger als zwei Millionen Einwohnern erhalten drei Stimmen, Länder mit mehr als zwei Millionen vier, Länder mit mehr als sechs Millionen fünf und Länder mit Mehr als sieben Millionen Einwohnern sechs. Bezogen auf die Einwohnerzahl ist das kleinste Land (Bremen) damit mehr als zehn Mal so stark in der Länderkammer vertreten wie das größte (Nordrhein-Westfalen). Amtssitz des Bundesrates ist das Gebäude des ehemaligen Preußischen Herrenhauses an der Leipziger Straße in Berlin.
Die auch im internationalen Vergleich ungewöhnliche Ausgestaltung des Bundesrates als Vertretungsorgan der Länderexekutiven geht auf die verspätete Nationalstaatsgründung und Parlamentarisierung in Deutschland zurück. Um dem aufstrebenden Reichstag ein monarchistisches Gegengewicht entgegenzusetzen, hatte Bismarck in der von ihm entworfenen Verfassung des Norddeutschen Bundes eine Fürstenkammer vorgesehen. Die Verfassung des Kaiserreiches knüpfte daran an. In den damals schon so genannten Bundesrat wurden Bevollmächtigte der von den Fürsten eingesetzten Regierungen entsandt. Diese Grundstruktur blieb mit dem Reichsrat der Weimarer Republik und dem Bundesrat in der Bundesrepublik erhalten, nur dass die Länderregierungen jetzt demokratisch legitimiert waren. Überlegungen, den Bundesrat durch einen Senat mit gewählten Abgeordneten zu ersetzen, konnten sich im Parlamentarischen Rat nicht durchsetzen.
Die Beteiligungsrechte des Bundesrates in der Gesetzgebung sind abgestuft. Bei sogenannten Einspruchsgesetzen kann sein Veto vom Bundestag überstimmt werden. Bei Zustimmungsgesetzen muss der Bundesrat zustimmen, ansonsten scheitert das Gesetz. Zustimmungspflichtig sind Gesetze, wenn sie in die Verwaltungshoheit der Länder eingreifen oder sie erhebliche finanzielle Auswirkungen auf die Länder haben. Nachdem der Anteil der zustimmungspflichtigen Gesetze bis zu Beginn der 2000er-Jahre auf knapp 60 Prozent angestiegen war, konnte er durch die 2006 verabschiedete Föderalismusreform auf unter 40 Prozent gedrückt werden.
Weil die Landtagswahlen, die über die Zusammensetzung der Landesregierungen entscheiden, regelmäßig zu Stimmenverlusten für die Bund regierenden Parteien führen, herrschen im Bundestag und Bundesrat häufig unterschiedliche Mehrheitsverhältnisse. Anders als in den 1970er-Jahren gibt es im Zuge der Pluralisierung des Parteiensystems in der Länderkammer heute allerdings keine klares Gegenüber von Regierung und Opposition mehr. Die meisten Länderregierungen sind „gemischt“, setzen sich also aus Parteien zusammen, die die Bundesregierung stellen, und solchen, die in der Opposition sind. Dies wirft mit Blick auf die vorgeschriebene Einheitlichkeit der Stimmaufgabe Probleme auf. Haben die Koalitionsparteien über ein von der Bundesregierung vorgeschlagenes Gesetz unterschiedliche Meinungen, legen sie bereits in den Koalitionsverträgen fest, dass sie sich im Bundesrat der Stimme enthalten.
Mit der veränderten Parteienlandschaft geht ein Wandel der Koordinierungs- und Konsensbildungsprozesse einher. Diese werden aufwendiger, führen aber nur noch in Ausnahmefällen zu Blockaden. Weil Kompromisse meistens schon im Vorfeld der Plenarsitzungen gelingen, können Mehrheiten für die Beschlüsse auch ohne Vermittlungsverfahren sichergestellt werden. Bei wichtigen und politisch heiklen Gesetzesvorhaben findet die Abstimmung dabei auch außerhalb des Bundesrates statt – etwa in der Ministerpräsidentenkonferenz oder in Konferenzen der Fachminister.
© Prof. Dr. Frank Decker (Universität Bonn)