Bundeskanzler

Bundeskanzler lautet die Amtsbezeichnung des Regierungschefs in der parlamentarischen Demokratie der Bundesrepublik. Der Begriff „Kanzler“ lässt sich bis ins Mittelalter zurückverfolgen. Als Leiter einer Amts- oder Schreibstube begegnet er uns heute auf der Länderebene in der Bezeichnung Staats- oder Senatskanzlei für die Behörde der Ministerpräsidenten oder Bürgermeister. Der Regierungschef des Norddeutschen Bundes von 1867 trug ebenfalls den Titel des Bundeskanzlers, nach der Reichsgründung wurde daraus der Reichskanzler. Außer in Deutschland ist der Begriff Bundeskanzler in Österreich (ebenfalls für den Regierungschef) und in der Schweiz (für den Chef der Bundeskanzlei) verbreitet.

Wie in einem parlamentarischen System auf der nationalen Ebene üblich, ist der Bundeskanzler als Chef der Bundesregierung nicht zugleich das Staatsoberhaupt – diese Funktion wird vom Bundespräsidenten wahrgenommen. Protokollarisch rangiert der Kanzler hinter dem Bundespräsidenten und dem Bundestagspräsidenten sogar nur an dritter Stelle. Politisch handelt es sich aber um das wichtigste und mächtigste Amt, weil die Schöpfer des Grundgesetzes den Fehler der Weimarer Verfassung nicht wiederholen wollten, wo man auch den Reichspräsidenten mit wichtigen Befugnissen ausgestattet hatte.

Die starke Stellung des Bundeskanzlers zeigt sich einerseits im Verhältnis zum Bundestag, andererseits im Verhältnis zu den anderen Mitgliedern der Regierung. Er allein schlägt dem Bundespräsidenten die Minister zur Ernennung und zur Entlassung vor. Nur er wird vom Bundestag förmlich und in geheimer Abstimmung gewählt, wobei im ersten und zweiten Wahlgang eine absolute Mehrheit erforderlich ist – im dritten Wahlgang genügt die einfache Mehrheit. Auch seine Abwahl haben die Verfassungsgeber bewusst erschwert. Sie kann nur mittels eines „Konstruktiven“ Misstrauensvotums erfolgen, mit dem der Bundestag gleichzeitig einen Nachfolger wählt. Dies ist bisher einmal vorgekommen – 1982, als Helmut Kohl sich gegen Helmut Schmidt durchsetzte. Der erste Versuch eines Konstruktiven Misstrauensvotums – gegen Kanzler Willy Brandt – war 1972 erfolglos geblieben.

Innerhalb der Regierung besitzt der Bundeskanzler die Organisationsgewalt. Mit dieser kann er die Schaffung neuer Ministerien verfügen oder die Zuständigkeiten der vorhandenen Ministerien neu verteilen. Ansonsten muss er deren Zuständigkeiten aber respektieren (Ressortautonomie). Das Grundgesetz spricht dem Kanzler die Richtlinienkompetenz zu. Das bedeutet, dass er in bestimmten Situationen das letzte Wort hat, zum Beispiel bei einem Streit zwischen den Ministern. Faktisch stößt dieses Recht an Grenzen, weil die Regierungen in der Bundesrepublik immer aus Koalitionen von zwei oder mehreren Parteien gebildet werden. So wie der Kanzler beim Aushandeln der Regierungspolitik Rücksicht auf die Koalitionspartner nehmen muss, entscheiden diese selbständig, mit welchen Personen sie die ihnen zugesprochenen Ministerien besetzen. Die verfassungsrechtlichen Befugnisse des Kanzlers reichen damit in der Praxis über die Grenzen seiner eigenen Partei nicht hinaus. Das gilt auch für die Bestimmung des – inoffiziell „Vizekanzler“ genannten – Stellvertreters des Bundeskanzlers aus dem Kreis der Minister. Dieser nimmt die Amtsgeschäfte anstelle des Kanzlers wahr, wenn der daran gehindert ist – zum Beispiel durch eine schwere Erkrankung.

Unterstützt wird die Arbeit des Kanzlers durch das von einem Staatssekretär oder Minister geleitete Bundeskanzleramt. Dieses soll zum einen die Regierungspolitik koordinieren und bildet deshalb die Organisation der Ministerien in sogenannten Spiegelreferaten ab. Zum anderen unterhält es selbst quasi-ministerielle Zuständigkeiten, etwa in der Kultur- oder in der Migrationspolitik. Auch die Europapolitik ist seit den 2000er-Jahren fast vollständig vom Auswärtigen Amt in das Kanzleramt abgewandert. Begleitet wurde der Aufgaben- und Machtzuwachs der Regierungszentrale von einer kontinuierlichen Zunahme des Personalbestandes auf heute rund 750 Stellen. Um diese räumlich unterzubringen, soll der ohnehin schon imposante Amtssitz des Kanzlers im Berliner Spreebogen demnächst einen Erweiterungsbau erhalten.

Von 1949 bis zum Amtsantritt von Olaf Scholz 2021 haben in der Bundesrepublik acht Kanzler regiert (Konrad Adenauer, Ludwig Erhard, Kurt Georg Kiesinger, Willy Brandt, Helmut Schmidt, Helmut Kohl, Gerhard Schröder und Angela Merkel). Dies entspricht einer – im internationalen Vergleich ungewöhnlich langen – durchschnittlichen Amtsdauer von neun Jahren. Das hohe Maß an Regierungsstabilität ist maßgeblich der Persönlichkeit der meisten Amtsinhaber geschuldet. Neben den drei von der CDU gestellten „Langzeitkanzlern“ Konrad Adenauer, Helmut Kohl und Angela Merkel ragen hier auch die sozialdemokratischen Regierungschefs Willy Brandt und Helmut Schmidt heraus. Sie alle haben die Geschichte und das Gesicht der Bundesrepublik stark geprägt und ihr deshalb bisweilen das Etikett der „Kanzlerdemokratie“ eingetragen.

© Prof. Dr. Frank Decker (Universität Bonn)

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