1848/49

Revolution

Ursachen und Voraussetzungen der „Europäischen Revolution" von 1848/1849
Im Februar 1848 wurde in Frankreich der französische König gestürzt. Diese Februar-Revolution verbreitete eine Aufbruchsstimmung in Europa, die eine Kettenreaktion paralleler und sich gegenseitig entfachender Revolutionen auslöste. Im März 1848 begann die „Deutsche Revolution", mit der die revolutionären Ereignisse bis Juli 1849 überschrieben werden, mit Erhebungen im Großherzogtum Baden. Innerhalb kurzer Zeit folgten revolutionäre Erhebungen nicht nur in den Staaten des Deutschen Bundes, sondern auch in den Herrschaftsgebieten außerhalb des Bundesgebiets, etwa in Ungarn, Oberitalien oder Posen, die zu Österreich bzw. Preußen gehörten. Die Ursachen und Voraussetzungen dieser Revolutionen waren vielschichtig.
So gehört die Deutsche Revolution in den größeren Kontext einer Reihe revolutionärer Erhebungen, die in verschiedenen europäischen Territorien aufbrandeten. Diese „Europäische Revolution" von 1848/1849, die in den einzelnen Regionen verschiedene Verläufe nahm, war das Ergebnis der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Modernisierungverzögerung und Ausdruck eines gesamteuropäischen Wandlungsprozesses gegen die Restaurationsbestrebungen der in der Heiligen Allianz verbündeten Herrscherhäuser. Die Ideen der Französischen Revolution von 1789, die Vorstellungen von Volkssouveränität, der universalen Geltung der Menschenrechte und eines von den Grundwerten der Aufklärung getragenen liberalen Verfassungsstaates umfassten, waren nach dem Wiener Kongress von 1815 bekämpft und unterdrückt worden – aber für viele Menschen doch Leitideen geblieben, die ihre Wirkung nun in der Revolutionsbewegung von 1848 entfalteten.

Erstürmung der Barrikade zu Frankfurt a/M durch die Oestreicher 
© BArch, ZSg 5-504 / o. Ang.
Erstürmung der Barrikade zu Frankfurt a/M durch die Oestreicher © BArch, ZSg 5-504 / o. Ang.
Erinnerung an den Befreiungskampf in der verhängnisvollen Nacht 18.-19. März 1848 © Heinrich-Heine-Institut, HHI.Rkult.vormaerz
Erinnerung an den Befreiungskampf in der verhängnisvollen Nacht 18.-19. März 1848 © Heinrich-Heine-Institut, HHI.Rkult.vormaerz

Zugleich waren die Revolutionen in vielen Regionen Europas nicht nur die Folge einer politischen (Modernisierungs-)Krise, sondern auch Resultat eines zugespitzten sozial-ökonomischen Konflikts. Die sich dynamisch entwickelnde Industrialisierung hatte zur Entstehung des Proletariats geführt, einer neuen sozialen Schicht aus Handwerkern, Fabrikarbeitern und Tagelöhnern, das unter Massenarmut und Hungerverelendung litt. 1845 und 1846 waren Missernten in Hunger- und Teuerungskrisen gemündet, die 1847 ihren Höhepunkt erreichten und zu regionalen Protesten wie einem gewaltigen Anstieg der Auswanderungszahlen führte. Vielerorts wurden die Aufstände deshalb zunächst von den ärmsten Bevölkerungsschichten ausgelöst, nachdem Verbesserungen der sozialen und wirtschaftlichen Lage aussichtslos erschienen.
Träger der Revolution waren im Deutschen Bund sowohl die Proletarier als auch die Besitz- und Bildungsbürger, eben weil beide Krisenerscheinungen – der sozial-ökonomische Konflikt sowie die politische Modernisierungsverzögerung – zusammenkamen, überwölbt von der spezifisch verquickten Einheits- und Freiheitsfrage. Das Wartburgfest oder das Hambacher-Fest hatten den Zustrom von Bürgern gezeigt, die zunehmend selbstbewusst politische Freiheit und nationale Einheit forderten. Die Folge war jedoch eine verstärkte Überwachung zur Bekämpfung liberaler und nationaler Tendenzen gewesen (Karlsbader Beschlüsse). Forderungen nach bürgerlichen Freiheiten und Rechten, die durch Verfassungen garantiert wurden, der Anspruch auf nationaler Selbstbestimmung sowie der Ruf nach sozialer Gerechtigkeit wurden somit Kennzeichen der Revolutionen des Jahres 1848. Vielen schien der gewaltsame Umsturz als einzige Chance, die enttäuschten Hoffnungen, Wünsche und Erwartungen zu verwirklichen.

Die Revolution in Berlin
Zu einem Zentrum der „Deutschen Revolution" von 1848/49 wurde Berlin: Am Nachmittag des 18. März 1848 versammelte sich eine Menschenmenge auf dem Berliner Schlossplatz, nachdem der König Friedrich Wilhelm IV. unter dem Eindruck der sich allerorten entwickelnden Proteste eine Bekanntmachung herausgegeben hatte. Darin sicherte er zu, dass die Zensur aufgehoben sei und Pressefreiheit vorbehaltlos gewährt würde. Zudem sprach sich der König in der Bekanntmachung für eine politische Neugestaltung des Deutschen Bundes aus, der von einem Staatenbund in einen Bundesstaat mit einer Verfassung umgewandelt werden sollte.
Wie überall im Deutschen Bund hatten sich auch in Berlin die Demokraten und Liberalen jene Kernforderungen zu eigen gemacht, die sich an den Forderungen der Mannheimer Volksversammlung vom 27. Februar 1848 orientierten. Zu diesen so genannten „Märzforderungen", die in verschiedenen deutschen Einzelstaaten noch erweitert wurden, gehörte der Ruf nach einer freiheitlichen Verfassung, die insbesondere die Presse-, Vereins- und Versammlungsfreiheit garantierte, ferner die Aufhebung der feudalen Vorrechte sowie der Karlsbader Beschlüsse, und schließlich die Herstellung eines deutschen Parlaments. Vielen schien es, als würde sich Friedrich Wilhelm IV. nicht mehr länger gegen die Einführung demokratischer Rechte versperren– und manche hofften sogar, er würde sich als Repräsentant des größten deutschen Staates, sogar an die Spitze der Einheitsbewegung stellen. Die Menschen nahmen deshalb die königliche Bekanntmachung begeistert auf.
Unruhe kam auf, als sich einsatzbereite Militärabteilungen an den Portalen zu den Schlosshöfen am Rande des Platzes zeigten. Die Menge fühlte sich verraten und bedroht – während die Soldaten eine Erstürmung des Schlosses befürchteten. Am frühen Nachmittag begann, auf Befehl des panisch werdenden Königs, die Räumung des Schlossplatzes. Als sich zwei Schüsse lösten, brach der Kampf aus: Sturmglocken läuteten, Barrikaden wurden errichtet, auf denen hier und dort eine schwarz-rot-goldene Fahne, das Symbol der Bewegung für Einheit und Freiheit, wehte.

© AdsD/FES / FAH0063B
© AdsD/FES / FAH0063B
© AdsD/FES / FAH0063A
© AdsD/FES / FAH0063A

Rasch erfassten die Straßenkämpfe das gesamte Stadtzentrum. Noch im Verlauf der Nacht gelang es dem Militär, den Aufstand niederzuschlagen. Der nächste Tag brachte einen ersten Überblick über die Opfer. Auf Seiten der Bürger waren mehr als 250 Tote zu beklagen, darunter je ein Dutzend Frauen und Jugendliche. Fast zwei Drittel der Toten waren Handwerker, mehr als ein Viertel Arbeiter gewesen. 1000 Menschen hatten Verletzungen davongetragen. Der König, um Schadensbegrenzung bemüht, verneigte sich vor den Opfern, die im Schlosshof aufgebahrt worden waren.
Kurz darauf, am 21. März, ließ er zudem eine Proklamation veröffentlichen. Sie trug den Titel „An mein Volk und an die deutsche Nation". Der Kernsatz lautete, er habe die alten deutschen Farben angenommen und sich zur Rettung Deutschlands an die Spitze des Gesamt-Vaterlandes gestellt. Mit einer Armbinde und unter einer Fahne mit den Farben Schwarz-Rot-Gold, die er allerdings nicht als das Zeichen der Freiheitsbewegung, sondern als Farben des mittelalterlichen Reiches deutscher Nation interpretierte, ritt er durch Berlin. An mehreren Orten der Stadt hielt er kurze Ansprachen, in denen er sich scheinbar zur Freiheits- und Einheitsbewegung bekannte und deklamierte: „Preußen geht fortan in Deutschland auf." Eine Woche später, am 29. März, berief Friedrich Wilhelm IV. einen Liberalen zum Ministerpräsidenten. Nunmehr hatte Preußen – wie andere deutsche Staaten auch – ein bürgerliches "Märzministerium". Am 5. Dezember 1848 folgte die von Friedrich Wilhelm IV. oktroyierte Verfassung für Preußen, die viele der Märzforderungen aufnahm und einen liberalen Grundrechtskatalog enthielt.
Wie in Preußen verhalf die Revolution auf der Straße auch in anderen Einzelstaaten den bürgerlichen Reformern zur Durchsetzung ihrer Ziele. Vielerorts erzwangen die Revolutionäre, die im Zeichen der schwarz-rot-goldenen Flagge kämpften, die Ernennungen von liberalen „Märzregierungen".

Die Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche
Am 18. Mai 1848 kam die erste frei gewählte deutsche Volksvertretung zu ihrer konstituierenden Sitzung zusammen. Die Nationalversammlung, die nach ihrem Tagungsort, der Frankfurter Paulskirche auch Paulskirchenparlament genannt wird, stand vor der weitreichenden Aufgabe, eine Verfassung für das zu begründende gemeinsame Staatswesen auszuarbeiten. In seiner Antrittsrede brachte der Liberale Heinrich Freiherr von Gagern, der zum Präsident der Nationalversammlung gewählt worden war, die Hauptaufgabe in den folgenden Worten auf den Punkt: „Wir sollen schaffen eine Verfassung für Deutschland, für das gesamte Reich. Der Beruf und die Vollmacht zu dieser Schaffung, sie liegen in der Souveränität der Nation. [...] Deutschland will Eins sein, ein Reich, regiert vom Willen des Volkes".
Tatsächlich waren die 585 Parlamentarier in einer Wahl gewählt worden – allerdings in einer bestenfalls ansatzweisen Form, weil immerhin die Hälfte der Deutschen von dieser Wahl ausgeschlossen gewesen war: Frauen besaßen nämlich weder das aktive noch das passive Wahlrecht! Und von den männlichen Deutschen waren nur rund 75 Prozent wahlberechtigt gewesen, also nur die ökonomisch unabhängigen Männer, die nach unterschiedlichen Wahlverfahren in den Einzelstaaten gewählt hatten. Für die deutsche Demokratiegeschichte war die Wahl dennoch ein Meilenstein, weil sich die von der Nationalversammlung auszuarbeitende Verfassung, die den neuen Staat begründen sollte, nicht auf das Prinzip eines Herrschers von Gottes Gnaden, sondern – zumindest im Ansatz – auf die Idee der Volkssouveränität stützte.

Einzug der Parlamentarier in die Paulskirche
© BArch, ZSg 5-118 / o. Ang.
Einzug der Parlamentarier in die Paulskirche © BArch, ZSg 5-118 / o. Ang.

Ihrer sozioökonomischen Zusammensetzung nach war es zwar kein reines „Professorenparlament", wie der Beiname häufig noch heute lautet, aber es trifft dennoch zu, dass das akademisch gebildeten Bürgertum in der Nationalversammlung dominierte. So waren Beamte von Staats- und Kommunalverwaltungen, Richter, Professoren und Lehrer tatsächlich in der Überzahl (darunter mehr als 200 Juristen und in der Tat über 100 Professoren); Gewerbetreibende und Landwirte deutlich in der Minderheit.
Die Abgeordneten der unterschiedlichen politischen Lager formierten sich in Gruppierungen, die zunächst – wie die Clubs der Französischen Revolution – nach ihren Tagungslokalen genannt wurden: Die Konservativen tagten im „Café Milani", die Liberalen im „Kasino" und im „Württemberger Hof", die Demokraten im „Deutschen Hof" und die extreme Linke im „Donnersberg". Ihrer Sitzordnung in der Nationalversammlung entsprechend, etablierte sich ein Begriffsschema, das sich zur Beschreibung der politischen Ausrichtung bis in die Gegenwart erhalten hat: rechts saßen die Konservativen, links die republikanisch gesinnten Demokraten, in der Mitte die Liberalen.
Die Konservativen wollten die alte Ordnung der Fürstenherrschaft sowie eine föderalistische Struktur von Einzelstaaten weitgehend erhalten. Demgegenüber forderten die Demokraten die Auflösung der Einzelstaaten zugunsten einer zentralistischen parlamentarischen Republik; zudem unterstützten sie am stärksten die Forderungen der Unterschichten und plädierten etwa für ein allgemeines, gleiches und direktes Wahlrecht sowie für eine soziale Absicherung der Arbeiterschaft. Die meisten Abgeordneten gehörten zum Zentrum, das die Wünsche des Besitz- und Bildungsbürgertums vertrat und sich in ein gemäßigtes (rechtes) und ein linkes Zentrum aufspaltete. Beide Gruppen traten für die Monarchie ein – die linken Liberalen allerdings für eine parlamentarische, die gemäßigten Liberalen für eine konstitutionelle Monarchie. Zudem forderten die gemäßigten Liberalen, die im „Casino" tagten, ein Zensuswahlrecht, d.h. die Kopplung des Wahlrechts an Besitz und Steueraufkommen – während die linken Liberalen, die im „Württemberger Hof" zusammenkamen, vor allem für Gewaltenteilung und eine bundesstaatliche Verfassung mit starker Volksvertretung warben.

Grundrechte und Reichsverfassung
Aufgrund der großen politischen Unterschiede zogen sich die Debatten, die teilweise zu regelrechten Redeschlachten wurden, über Monate hin. Mit knapper Mehrheit wurde in dritter Lesung am 21. Dezember 1848 ein Grundrechtekatalog verabschiedet. Kernelemente waren die Gleichheit aller vor dem Gesetz, die Aufhebung aller Standesvorrechte, die Gewährleistung persönlicher und politischer Freiheitsrechte (wie Meinungs-, Presse-, Religions-, Versammlungs- und Gewerbefreiheit, Vereinsrecht, Freizügigkeit), die Abschaffung der Todesstrafe, die Unverletzlichkeit des Eigentums, das Briefgeheimnis, die Freiheit von Wissenschaft und Lehre und das Petitionsrecht.
Die Grundrechte, die individuelle und staatsbürgerliche Freiheit garantierten und Schutz vor staatlicher Willkür boten, traten mit Verkündigung im Reichsgesetzblatt am 28. Dezember 1948 in Kraft und wurden – mit einigen Änderungen – in die Reichsverfassung vom 28. März 1849 aufgenommen (Abschnitt VI, Paragrafen 130 bis 189).

Tafeln Grundrechte des Deutschen Volkes © BArch, ZSg 8-515 / Adolph Schroedter
Tafeln Grundrechte des Deutschen Volkes © BArch, ZSg 8-515 / Adolph Schroedter

Zwischen der Verabschiedung des Grundrechtskatalogs und der Einigung über die anderen Verfassungen lag also ein Vierteljahr – und schon die Dauer verwies auf die Schwierigkeiten, die überwunden werden mussten. Zu den zu klärenden Kernfragen zählte beispielsweise die Bestimmung der Grenzen eines künftigen deutschen Nationalstaates. Es gab Befürworter einer „großdeutschen Lösung", die Deutsch-Österreich in das zu gründende Reich einbinden, jedoch die nichtdeutschen Länder der Habsburger-Monarchie aus dem Nationalstaat ausschließen wollten. Und es gab die Anhänger einer „kleindeutschen Lösung", die für den Ausschluss Österreich aus dem Reichsgebiet eintraten.
Beide Varianten waren jedoch faktisch kaum realisierbar. Einerseits beharrte der österreichische Vielvölkerstaat auf seiner staatsrechtlichen Einheit, sodass alle Pläne zur Spaltung Österreichs zugunsten der „großdeutschen Lösung" ausschieden. Andererseits lehnte der österreichische Kaiser aber auch die "kleindeutsche" Lösung ab, in der Österreich jeden Einfluss auf Deutschland verlor. Zugleich war Preußen gegen eine "großdeutsche" Lösung, die auf die Wiederbelebung des 1806 untergegangenen Kaiserreiches unter Führung der habsburgischen Krone hinauslief; gleichzeitig störten sich die süddeutschen Länder wie Baden, Württemberg und Bayern an einer „kleindeutschen Lösung", die eine preußische Hegemonie im neuen Nationalstaat bewirkte. Da sich Österreich im Grunde gegen die „großdeutsche" wie gegen die „kleindeutsche" Lösung positionierte, wurde im Oktober 1848, spätestens im März 1849 recht deutlich, dass es kein Teil des Reichsgebietes werden konnte.
Auch in der Zentralfrage der künftigen Staatsform, also der Frage, ob das neue Reich eine Republik oder eine konstitutionelle Monarchie werden sollte, standen sich die Anhänger unversöhnlich gegenüber. Am 27. März 1849 votierte eine knappe Mehrheit für einen föderalen deutschen Nationalstaat auf Basis einer konstitutionellen Erbmonarchie mit dem preußischen König als deutschem Kaiser an der Spitze. Er besaß das Recht zur Einsetzung der Regierung, während dem Reichstag – der sich aus einer Ländervertretung (Staatenhaus) und einem von Männern gewählten Parlament (Volkshaus) zusammensetzte – vor allem die Gesetzgebung, das Budgetrecht und die Kontrolle der Exekutive oblagen. Die zentrale Frage der Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Parlament blieb allerdings offen.

Gesichter der Revolution
Die Differenzen der Parlamentarier in grundsätzlichen Fragen zwang Abgeordnete zur Unterordnung unter Mehrheitsbeschlüsse des Parlaments, die bisweilen den Anhängern nur schwer und teilweise gar nicht zu vermitteln waren. Liberale, die auf bürgerliche Freiheiten und Rechte orientiert waren, definierten beispielsweise Erfolge anders als Demokraten, die sich für die sozialen Forderungen von Handwerkern, Bauern, Arbeitern einsetzten. Wo manch einer den an die Revolution gestellten Anspruch eingelöst sah, wähnte ein anderer die Revolution noch längst nicht am Ziel. Über das Neben- und Gegeneinander von sozialkonservativen, sozialreformerischen und sozialistischen Vorstellungen hinaus gab es in Kernfragen, etwa der nach einer „kleindeutschen" oder „großdeutschen" Lösung oder der nach Republik oder Monarchie, im Grunde keine Möglichkeit für einen Kompromiss. Enttäuschung und Unmut bei Volk wie Volksvertretern gehörten deshalb zu den permanenten Begleiterscheinungen der parlamentarischen Arbeit, die in Teilen der Bevölkerung jeden Rückhalt verlor. Folge waren Unruhen, die immer wieder aufflammten.
Im September 1848 war beispielsweise ein spontaner Volksaufstand in Frankfurt am Main, die sogenannte Septemberrevolution, ausgebrochen, Anfang Oktober ein Aufstand in Wien. Die Ursachen und Verläufe waren vielschichtig und komplex – und sie zeigten die unterschiedlichen, parallelen Entwicklungsprozesse der Revolution, die nicht nur eine parlamentarische, sondern eben auch eine gewalttätige Ebene hatte. Diese zeigten sich nicht zuletzt am Beispiel einiger Abgeordneter, etwa – der wohl prominenteste Fall – an Robert Blum. Er gehörte zum linken Spektrum der von ihm begründete Fraktion der Demokraten, trug aber auch immer wieder radikaldemokratische Forderungen mit. Im Oktober reiste er nach Wien und unterstützte die revolutionäre Erhebung durch aktive Kampfteilnahme. Nach seiner Verhaftung durch kaiserliche Truppen wurde er von einem Gericht als Aufrührer verurteilt und am 9. November 1848 standrechtlich hingerichtet.

Das Scheitern der Revolution
Trotz der immer wieder aufflammenden Unruhen hatte die Nationalversammlung in weniger als einem Jahr parlamentarischer Arbeit eine Verfassung erarbeitet, die – bei allen politischen Differenzen – von einer Mehrheit verabschiedet worden war. Umgehend wurde eine Kaiserdeputation zu Friedrich Wilhelm IV. nach Berlin geschickt, dem die Kaiserkrone angetragen werden sollte. Der preußische König war jedoch nicht zur Annahme bereit: einerseits, um eine offene außenpolitische Brüskierung Österreichs zu vermeiden, die wahrscheinlich die Gefahr eines Krieges heraufbeschwor; andererseits, weil ihm die Annahme der von Volksvertretern angebotenen Krone mit dem monarchischen Selbstverständnis des Gottesgnadentums unvereinbar erschien. Als Vertreter des monarchischen Legitimationsprinzips lehnte er nicht nur die Idee der Volkssouveränität ab – sondern auch die Kaiserwürde, die nach traditioneller Ansicht (wie bis 1806) nur von den Fürsten bzw. einem Kurfürstenkollegium vergeben werden durfte; die Annahme der Krone musste nach seiner Ansicht die historischen Rechte der anderen deutschen Monarchen verletzen.

Angebot der Kaiserkrone an Friedrich Wilhelm IV. durch die Deputation der Frankfurter Nationalversammlung
© BArch, ZSg 6-0173 / o. Ang.
Angebot der Kaiserkrone an Friedrich Wilhelm IV. durch die Deputation der Frankfurter Nationalversammlung © BArch, ZSg 6-0173 / o. Ang.
Karikatur zum deutschen Michel
© BArch, ZSg 6-0543 / Gustav Süß
Karikatur zum deutschen Michel © BArch, ZSg 6-0543 / Gustav Süß

Mit der Ablehnung der Kaiserkrone durch den preußischen König verloren sowohl das Einführungsgesetz vom 27. Dezember 1848 als auch die Reichsverfassung ihre Gültigkeit. Somit war eine Vorentscheidung im Prozess der Verfassungsgebung gefallen – erst recht, als Österreich die Reichsverfassung ablehnte und, nach österreichischer Ermunterung, die größten deutschen Mittelstaaten Bayern und Hannover folgten. Damit war der Versuch, einen konstitutionell verfassten Nationalstaat auf parlamentarischem Weg zu gründen, faktisch gescheitert – obgleich 28 deutschen Regierungen in einer Kollektivnote ihre Anerkennung der Reichsverfassung erklärt hatten (und später drei weitere folgten). Der preußische König ließ am 27. April 1849 die Erste Kammer vertagen und die Zweite Kammer auflösen, die sich für die Anerkennung ausgesprochen hatten. Mit einer Depesche vom 28. April ließ er die Verwerfung der Reichsverfassung erklären. Die Zeichen standen damit auf Konfrontation.
Abgeordnete der Nationalversammlung versuchten die Rettung ihres Werks und riefen am 4. Mai 1849 die deutschen Regierungen, Parlamente und Gemeinden zur Inkraftsetzung der Verfassung auf. Die Wahlen für das Volkshaus wurden auf den 15. Juli festgelegt, der Reichstag sollte am 15. August zusammentreten. In zahlreichen deutschen Staaten kam es daraufhin zu erneuten revolutionären Erhebungen, die jedoch – anders als im Vorjahr – auf vorbereitete Staatsgewalten stießen. Aufstand um Aufstand wurde von Militär niedergeschlagen; häufig half Preußen mit Truppen aus. Der letzte revolutionäre Widerstand endete am 23. Juli auf der Burgfestung Rastatt, die mehrere Wochen lang belagert worden war. Damit war die Revolution insgesamt beendet, die im März 1848 als liberale und demokratische Einheits- und Freiheitsbewegung begonnen hatte. Allein in Rastatt wurden 51 Personen sofort standrechtlich hingerichtet.
Parallel zur Niederschlagung vollzog sich in der Nationalversammlung ein Prozess der Auflösung. Spannungen zwischen Gemäßigten und Radikalen führten im Mai zum Mandatsverzicht von Parlamentariern, die den Verfassungsgebungsprozess als gescheitert ansahen. Einige Parlamentarier resignierten angesichts des Wiedererstarkens der monarchisch-restaurativen Kräfte in den deutschen Einzelstaaten, andere legten ihr Mandat auf Druck der Einzelstaaten nieder. 98 radikaldemokratische und revolutionsbereite Abgeordnete wichen vor heranrückenden preußischen Truppen nach Stuttgart aus, traten vom 6. bis 18. Juni in einem so genannten Rumpfparlament zusammen und versuchten, ein radikallinkes und sozialrevolutionäres Programm zu verwirklichen – bis auch diese Versammlung von württembergischen Truppen gewaltsam aufgelöst wurde.

Die „Verfassung des Deutschen Reiches" entfaltete zwar keine Rechtswirksamkeit, war aber dennoch von immenser Bedeutung – und zwar für die Zeitgenossen wie für die späteren deutschen Verfassungswerke. Erstmals waren Freiheit und Gleichheit als Leitprinzipien der deutschen Staats- und Gesellschaftsordnung kodifiziert worden. Einstweilen kamen Freiheit und Gleichheit nicht mehr vor in den Verfassungen, die nun von den Einzelstaaten verabschiedet wurden – aber immerhin sahen sich die Regierungen gezwungen, eigene Verfassungen zu erarbeiten und einige Reformen beizubehalten. Vor allem blieb die Paulskirchenverfassung von 1849 aber ein wichtiges Vorbild für die deutschen Verfassungen von 1919 und 1949.

© Dr. Lars Lüdicke (Deutsche Gesellschaft e. V.)

Quiz

Datenschutzhinweise & Cookie-Einstellungen

Wir verwenden Cookies, um Ihnen die Inhalte und Funktionen der Website bestmöglich anzubieten. Darüber hinaus verwenden wir Cookies zu Analyse-Zwecken.

Zur Datenschutzerklärung und den Cookie-Einstellungen.

Allen zustimmenEinstellungen

Datenschutzhinweise & Cookie-Einstellungen

Bitte beachten Sie, dass technisch erforderliche Cookies gesetzt werden müssen, um wie in unseren Datenschutzhinweisen beschrieben, die Funktionalität unserer Website aufrecht zu erhalten. Nur mit Ihrer Zustimmung verwenden wir darüber hinaus Cookies zu Analyse-Zwecken. Weitere Details, insbesondere zur Speicherdauer und den Empfängern, finden Sie in unserer Datenschutzerklärung. In den Cookie-Einstellungen können Sie Ihre Auswahl anpassen.

PHP Sitzung
Das Cookie PHPSESSID ist für PHP-Anwendungen. Das Cookie wird verwendet um die eindeutige Session-ID eines Benutzers zu speichern und zu identifizieren um die Benutzersitzung auf der Website zu verwalten. Das Cookie ist ein Session-Cookie und wird gelöscht, wenn alle Browser-Fenster geschlossen werden.
ReadSpeaker
Mit Hilfe des ReadSpeaker webReader können Sie sich Inhalte auf dieser Webseite laut vorlesen lassen.
Google Maps
Google Maps ist ein Karten-Dienst des Unternehmens Google LLC, mit dessen Hilfe auf unserer Seite Orte auf Karten dargestellt werden können.
YouTube
YouTube ist ein Videoportal des Unternehmens Google LLC, bei dem die Benutzer auf dem Portal Videoclips ansehen, bewerten, kommentieren und selbst hochladen können. YouTube wird benutzt um Videos innerhalb der Seite abspielen zu können.
Vimeo
Vimeo ist ein Videoportal des Unternehmens Vimeo, Inc., bei dem die Benutzer auf dem Portal Videoclips ansehen, bewerten, kommentieren und selbst hochladen können. Vimeo wird benutzt um Videos innerhalb der Seite abspielen zu können.
Google Analytics
Google Analytics installiert die Cookie´s _ga und _gid. Diese Cookies werden verwendet um Besucher-, Sitzungs- und Kampagnendaten zu berechnen und die Nutzung der Website für einen Analysebericht zu erfassen. Die Cookies speichern diese Informationen anonym und weisen eine zufällig generierte Nummer Besuchern zu um sie eindeutig zu identifizieren.
Matomo
Matomo ist eine Open-Source-Webanwendung zur Analyse des Nutzerverhaltens beim Aufruf der Website.