8. November 1972

Grundlagenvertrag

© Bundesregierung / Alfred Henning
© Bundesregierung / Alfred Henning

Grundlagenvertag
Am 21. Dezember 1972 wurde der Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik) geschlossen, der am 21. Juni 1973 in Kraft trat. Dieser so genannte Grundlagenvertrag bestand aus zehn Artikeln, in denen u.a. die Entwicklung gutnachbarlicher Beziehungen auf gleichberechtigter Basis vereinbart wurden. Beide Vertragsparteien bekannten sich darüber hinaus zu den Grundsätzen der Vereinten Nationen und verpflichten sich, bei der Beilegung von Streitigkeiten auf Gewalt zu verzichten und die gegenseitigen Grenzen zu achten. Hinzu kamen die Bestimmung, dass keiner der beiden Staaten den anderen international vertreten könne, und die Vereinbarung, Ständige Vertreter auszutauschen.

Neue Ostpolitik
Dieser Vertrag, der in die Reihe so genannter Ostverträge gehörte, war Ausdruck der Neuen Ostpolitik, die – unter den Bedingungen des Ost-West-Konfliktes – auf einen Ausgleich mit der Sowjetunion und den osteuropäischen Staaten abzielte. Zwar hatte es bereits Anfang der 1960er Jahre neue Akzente in der Ostpolitik der Bundesrepublik gegeben; im engeren Sinne begann der sich in der Neuen Ostpolitik abzeichnende Strategiewechsel jedoch mit der Kanzlerschaft von Willy Brandt (1969 bis 1974). In seiner Regierungszeit wurde die Idee eines „Wandels durch Annäherung“ zum Prinzip der Außenpolitik. Maßgeblich von Brandts engem Mitarbeiter Egon Bahr entwickelt und umgesetzt, sollte der Status quo durch eine Entspannungspolitik überwunden werden. Ausgangsüberlegung war, dass es gemeinsame Interessen gab, etwa die globale Friedenssicherung und insbesondere die Verhinderung eines atomaren Krieges, aus denen sich eine gesamteuropäische Friendensordnung entwickeln ließen.
Wichtige Etappenziele wurden 1970 mit der Unterzeichnung des Moskauer und des Warschauer Vertrages erreicht, die mit der Sowjetunion und der Volksrepublik Polen geschlossen wurden.

Wandel durch Annäherung
Parallel – ab 1970 – begann sich der Strategiewechsel auch in den deutsch-deutschen Beziehungen bemerkbar zu machen. Bis zum Regierungsantritt Brandts im Oktober 1969 waren alle Bundesregierungen der so genannten Hallstein-Doktrin gefolgt, d.h. sie hatten die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur DDR durch Drittstaaten als „unfreundlichen Akt“ gegenüber der Bundesrepublik betrachtet. Die Gegenmaßnahmen waren nicht festgelegt – und konnten von wirtschaftlichen Sanktionen bis zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen reichen. Das Ziel der Leitlinie, in der sich die Auffassung widerspiegelte, dass die Bundesrepublik die einzige legitime Vertretung des deutschen Volkes sei, war klar: die Isolierung der DDR.

Die Regierung Brandt gab die Hallstein-Doktrin auf. In der Annahme, dass die zuvor verfolgte Politik des Drucks und der Stärke eher eine Verhärtung des Status quo bewirkt hatte, sollte nun eine Politik der Verhandlungen für eine Entspannung der allgemeinen Konfliktlage sorgen. Im Angesicht der Mauer, die nicht nur das Land in zwei Teile spaltete, sondern auch Familien und Freunde trennte, schien die Durchsetzung von humanitärer Erleichterung als Gebot der Stunde. Einkalkuliert wurde zugleich, dass ein Ausbau der politischen, ökonomischen und kulturellen Kontakte zur Hebung des Lebensstandards in der DDR, zur Intensivierung der Austauschbeziehungen zwischen den Menschen und zur Stärkung des Zusammengehörigkeitsgefühls führen würden. In diesem Sinne hatte Brandt bereits in seiner ersten Regierungserklärung als Bundeskanzler erklärt, es sei „Aufgabe der praktischen Politik“ in den nächsten Jahren, „die Einheit der Nation dadurch zu wahren, daß das Verhältnis zwischen den Teilen Deutschlands aus der gegenwärtigen Verkrampfung gelöst wird.“ Die Deutschen, die „alle in Deutschland zu Haus" seien, hätten gemeinsame Aufgaben und gemeinsame Verantwortung: für den Frieden unter uns und in Europa." Es gelte, „ein weiteres Auseinanderleben der deutschen Nation verhindern, also versuchen, über ein geregeltes Nebeneinander zu einem Miteinander zu kommen. Dies ist nicht nur ein deutsches Interesse, denn es hat seine Bedeutung, auch für den Frieden in Europa und für das Ost-West-Verhältnis."

Einheit der Nation
Um ein „Auseinanderleben der deutschen Nation“ zu verhindern, hielten Brandt und Bahr den in der Neuen Ostpolitik vollzogenen Strategiewechsel für notwendig. Das Ziel der Bundesregierung blieb nach wie vor die Wiederherstellung der staatlichen Einheit, aber beide waren überzeugt, dass dieses Ziel überhaupt nur in einer ferneren Zukunft und am Ende eines langwierigen Prozesses „mit vielen Schritten und vielen Stationen“, wie Bahr meinte, erreichbar sei. Zu diesen Schritten und Stationen gehörte für sie der Grundlagenvertrag, der die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der DDR auf eine neue Grundlage stellte, in gewisser Weise aber zugleich einen Kurswechsel bedeutete. So wurde die DDR, deren Existenz bisher stillschweigend akzeptiert worden war, faktisch anerkannt – zwar nicht völkerrechtlich, aber staatsrechtlich als einer der „zwei Staaten in Deutschland“ im Sinne einer gemeinsamen Nation. Politisch wie rechtlich war der Grundlagenvertrag deshalb umstritten, auch wenn, wie bereits beim Moskauer Vertrag, beim Abschluss des Grundlagenvertrages ein „Brief zur deutschen Einheit“ überreicht wurde, in dem die Bundesregierung betonte, dass der Vertrag „nicht im Widerspruch zu dem politischen Ziel der Bundesrepublik Deutschland steht, auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt.“

Urteil des Bundesverfassungsgerichts
Die Bayerische Staatsregierung ließ den Grundlagenvertrag, der nach ihrer Ansicht das grundgesetzliche Wiedervereinigungsgebot und die Fürsorgepflicht gegenüber Deutschen in der Deutschen Demokratischen Republik verletzte, durch das Bundesverfassungsgericht prüfen. Das Gericht urteilte jedoch, dass der Vertrag mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Aufgrund des Wiedervereinigungsgebots im Grundgesetz sei eine völkerrechtliche Anerkennung der DDR ausgeschlossen. Eine solche Anerkennung habe die Bundesrepublik Deutschland nicht nur nie förmlich ausgesprochen, sondern im Gegenteil wiederholt ausdrücklich abgelehnt. Verstehe man den Abschluss des Grundlagenvertrags als faktische Anerkennung, so könne darunter aber nur eine faktische Anerkennung besonderer Art verstanden werden.

Ausführlich äußerte sich das Bundesverfassungsgericht zudem zur Frage des Fortbestandes des deutschen Staates und zu dem seit 1945 herausgebildeten Status quo. Es stellte fest, das Grundgesetz gehe davon aus, dass das Deutsche Reich den Zusammenbruch 1945 überdauert habe und weder mit der Kapitulation noch durch Ausübung fremder Staatsgewalt in Deutschland durch die alliierten Mächte untergegangen sei. Dementsprechend existiere das Deutsche Reich fort, besitze nach wie vor Rechtsfähigkeit, sei allerdings als Gesamtstaat mangels Organisation, insbesondere mangels institutionalisierter Organe selbst nicht handlungsfähig. Folglich sei mit der Errichtung der Bundesrepublik Deutschland nicht ein neuer westdeutscher Staat gegründet, sondern ein Teil Deutschlands neu organisiert worden. Die Bundesrepublik Deutschland sei also nicht “Rechtsnachfolger” des Deutschen Reiches, sondern als Staat identisch mit dem Staat “Deutsches Reich” – in Bezug auf seine räumliche Ausdehnung allerdings “teilidentisch”. Demzufolge umfasse die Bundesrepublik, was ihr Staatsvolk und ihr Staatsgebiet anlange, nicht das ganze Deutschland. Sie beschränke ihre Hoheitsgewalt staatsrechtlich zwar auf den “Geltungsbereich des Grundgesetzes”, fühle sich aber ebenso verantwortlich für das ganze Deutschland. Da auch die DDR zu Deutschland gehöre, könne sie von der Bundesrepublik nicht als Ausland angesehen werden.

Mit konkretem Bezug zum Grundlagenvertrag stellte das Urteil fest, dass die Wiedervereinigung ein verfassungsrechtliches Gebot sei. Kein Verfassungsorgan der Bundesrepublik dürfe die Wiederherstellung der staatlichen Einheit als politisches Ziel aufgeben; vielmehr seien alle Verfassungsorgane verpflichtet, in ihrer Politik auf die Erreichung dieses Zieles hinzuwirken. Zugleich müsse es jedoch den zu politischem Handeln berufenen Organen der Bundesrepublik überlassen bleiben, zu entscheiden, welche Wege sie zur Herbeiführung der Wiedervereinigung als politisch richtig und zweckmäßig ansehen.

Dieser im Urteil des Bundesverfassungsgerichts konkretisierten Auslegung des Grundgesetzes kam 1990 insofern eine wichtige Bedeutung zu, als die Herstellung der Einheit Deutschlands durch die im Urteil zum Grundlagenvertrag bestätigte Staatsangehörigkeit für alle Deutschen und die Beitrittsmöglichkeit der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes nach Artikel 23 GG erleichtert wurde.

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