19. Januar 1919
Frauenwahlrecht
Der Beschluss des Rates der Volksbeauftragten
Am 12. November 1918 beschloss der Rat der Volksbeauftragten, die zwischen dem 10. November 1918 und dem 13. Februar 1919 amtierende provisorische Regierung Deutschlands, die Einführung des Wahlrechts für Frauen. Es trat am 30. November 1918 mit dem Reichswahlgesetz in Kraft. Fortan war es Frauen – wie Männern – erlaubt, mit Vollendung des 20. Lebensjahres zu wählen (aktives Wahlrecht) und gewählt zu werden (passives Wahlrecht). Sie konnten erstmals bei der Wahl zur verfassungsgebenden Nationalversammlung am 19. Januar 1919 von diesem Recht Gebrauch machen.
Der Kampf um das Wahlrecht
Die Einführung des Frauenwahlrechts hatte weder im Zuge der Französischen Revolution von 1789 noch im Verlauf der Revolution von 1848 eine Rolle gespielt. Dennoch reicht die Geschichte des Kampfes um das Frauenwahlrecht bis in das frühe 19. Jahrhundert zurück. Über Jahrzehnte rangen Frauen um die Demokratisierung des Wahlrechts. Viele wurden in der Frauenbewegung und in Frauenvereinen aktiv. Zur Jahrhundertwende zählten die Frauenvereine fast 70.000 Mitglieder. Bereits in den späten 1840er Jahren sprachen sich vereinzelt Frauen für die Ausweitung des Wahlrechts aus, etwa Louise Otto (1819-1895), Begründerin und langjährige Vorsitzende des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins. In ihrer 1876 in Berlin erschienenen Schrift „Der Frauen Natur und Recht. Zur Frauenfrage zwei Abhandlungen über Eigenschaften und Stimmrecht der Frauen“ rief Hedwig Dohm ihre Geschlechtsgenossinnen auf, ihr Grundrecht einzufordern: „Erwachet, Deutschlands Frauen […]. Fordert das Stimmrecht, denn nur über das Stimmrecht geht der Weg zur Selbstständigkeit und Ebenbürtigkeit, zur Freiheit und zum Glück der Frau. Ohne politische Rechte seid Ihr, Eure Seelen mögen von Mitleid, Güte und Edelsinn überfließen, den ungeheuersten Verbrechen gegenüber, die an Eurem Geschlecht begangen werden, machtlos.“ Anders als die bürgerlichen Frauenvereine forderte die sozialdemokratische Frauenbewegung frühzeitig das Frauenwahlrecht.
In der Wahlrechtsentwicklung in Deutschland zeigt sich die Ungleichzeitigkeit und Widersprüchlichkeit der Demokratisierungsprozesse. Bereits seit der Reichsgründung von 1871 hatten reichsweit im Grundsatz alle Männer (über 25 Jahre) das allgemeine, gleiche und direkte Wahlrecht. Sie bestimmten über die Zusammensetzung des Parlaments (Reichstag), das zwar nicht den Reichskanzler wählen durfte, aber ohne dessen Zustimmung kein Reichsgesetz in Kraft treten konnte. Dieser frühen Demokratisierung des Wahlrechts im gesamten deutschen Staatsgebiet folgte in den Oktoberreformen die späte Demokratisierung des Regierungssystems. Frauen – und somit der Hälfte der Bevölkerung – blieb das Recht zur politischen Mitbestimmung bis 1919 verwehrt. Für die Geschichte von Einheit, Freiheit und Demokratie war die Einführung des Frauenwahlrechts im November 1918 ein wichtiger Meilenstein.
© Dr. Lars Lüdicke (Deutsche Gesellschaft e. V.)