18. Oktober 1817

Das Wartburgfest und die Politisierung der Studenten

Burschenschaften und Turnerbewegung
Getragen vom Stolz auf den Sieg gegen Napoleon und beflügelt vom Gemeinschaftserlebnis im Krieg, waren große Teile der jungen Generation nicht mehr bereit, sich mit der auf dem Wiener Kongress beschlossenen Neuordnung abzufinden. Unter dem Wahlspruch „Ehre, Freiheit, Vaterland“ gründeten Jenaer Studenten deshalb bereits 1815 die „Allgemeine Deutsche Burschenschaft“, in der sie die landsmannschaftliche Zersplitterung an den Universitäten zu überwinden suchten. Sie griffen Gedanken vaterländischer Publizisten auf (Ernst Ludwig Arndt, Friedrich Ludwig Jahn u. a.), die sich in ihren Schriften für einen Zusammenschluss der Deutschen und gegen die Kleinstaaterei einsetzten. Als äußeres Kennzeichen ihrer Burschenschaft, zu deren Gründungsmitgliedern viele ehemalige Freiwillige aus dem Lützower Freikorps zählten, wählten sie die Uniformfarben Schwarz-Rot-Gold, die zu den Farben der Einigungsbewegung wurden und aus denen sich die deutschen Nationalfarben herleiten.

Die Ziele der Burschenschaft formulierte der Jurastudent Heinrich von Gagern – der 1848 Präsident der deutschen Nationalversammlung in der Paulskirche werden wird – in einem Brief an seinen Vater mit den Worten: „Wir wünschen unter den einzelnen Staaten Deutschlands einen größeren Gemeinsinn, größere Einheit in ihrer Politik und in ihren Staatsmaximen; keine eigene Politik der einzelnen Staaten, sondern das engste Bundesverhältnis; überhaupt, wir wünschen, daß Deutschland als ein Land und das deutsche Volk als ein Volk angesehen werden könne. So wie wir dies so sehr als möglich in der Wirklichkeit wünschen, so zeigen wir dies in der Form unsres Burschenlebens. Landsmannschaftliche Parteien sind verbannt, und wir leben in einer deutschen Burschenschaft, im Geiste als ein Volk, wie wir es in ganz Deutschland gerne in der Wirklichkeit täten. Wir geben uns die freieste Verfassung, so wie wir sie gerne in Deutschland möglichst frei hätten […]. Wir wünschen eine Verfassung für das Volk nach dem Zeitgeiste und nach der Aufklärung desselben, nicht daß jeder Fürst seinem Volke gibt, was er Lust hat und wie es seinem Privatinteresse dienlich ist. Überhaupt wünschen wir, daß die Fürsten davon ausgehen und überzeugt sein möchten, daß sie des Landes wegen, nicht aber das Land ihretwegen existiere.“

Die Ideen der in Jena gegründeten Urburschenschaft fanden an anderen deutschen Universitäten viele Unterstützer – doch je größer diese Anhängerschaft wurde, desto unterschiedlichere Positionen fanden sich unter den Burschenschaftlern, die eben keine übergreifende politische Programmatik verfolgten. Eine Mehrheit erhob Forderungen nach demokratischen Reformen und einer Einigung Deutschlands. Zugleich gab es Vertreter diffuser nationalromantischer Träumereien, aber auch Verfechter nationalistischer Anschauungen, die sich etwa in der Turnerbewegung sammelten.

Begründer der Turnbewegung war Friedrich Ludwig Jahn, ein Hauslehrer und Schriftsteller, der zu den Wortführern des Widerstandes gegen die napoleonische Besetzung gezählt hatte und ein Ideengeber für die Gründung der Urburschenschaft gewesen war. Er verstand die „Deutsche Turnkunst“, wie der Titel des von ihm 1816 herausgebrachten Buches lautete, als Trägerin nationalen Gedankenguts: Leibesübungen sollten, wie er bereits 1808 geschrieben hatte, der „wahren Volkserziehung“, der „Vorarbeit für künftige Vaterlandsverteidiger“ dienen. Von Beginn an waren der wehrpolitische Nutzen wie die vaterländische Willensbildung die beiden Hauptmotive der sportlichen Betätigung, für die Jahn eigens Turngeräte wie Reck oder Barren einführte. Bereits 1810 hatte er mit einer Gruppe von Anhängern in Berlin einen Geheimbund zur Befreiung und Einigung Deutschlands gegründet, der ausschließlich Männern „deutscher Abstammung“ offenstand und Juden, selbst wenn sie zum Christentum konvertiert waren, die Mitgliedschaft verwehrte.

Das Wartburgfest
Am 18. Oktober 1817, zwei Jahre nach der Gründung der Urburschenschaft, trat die Studentenbewegung beim Wartburgfest zu einer großen Demonstration in Erscheinung. Zur 300-Jahr-Feier der Reformation und aus Anlass des 4. Jahrestages der Völkerschlacht bei Leipzig versammelten sich etwa 500 Studenten aus knapp einem Dutzend deutscher Universtäten an geschichtlichem Ort, auf der Wartburg, wo Martin Luther große Teile des Neuen Testaments übersetzt hatte. Unter schwarz-rot-goldenen Fahnen und mit Musik zogen sie auf die Burg zu ihrem Fest, auf der Forderungen nach Schaffung eines einigen und freien Deutschlands erklangen. Nachdem die Reden gehalten worden waren, traf man sich an gedeckten Tafeln im Burghof zu geselligen Runden. Am Nachmittag zog die Menge wieder von der Burg herunter in die Stadtkirche zur Predigt. Anschließend wurden Turnübungen auf dem Marktplatz aufgeführt.

Zug der Burschen auf die Wartburg am 18. Oktober 1817, Johann Heinrich Hose, nach 1817, © Wartburg-Stiftung Eisenach Fotothek Inv. Nr. G2693
Zug der Burschen auf die Wartburg am 18. Oktober 1817, Johann Heinrich Hose, nach 1817, © Wartburg-Stiftung Eisenach Fotothek Inv. Nr. G2693
Roediger, Ludwig: Ein deutsches Wort an Deutschland's Burschen gesprochen vor dem Feuer auf dem Wartenberg bei Eisenach am achtzehnten des Siegesmondes im Jahr 1817 dem dritten Jubeljahr der Geistesfreiheit © Bayerische Staatsbibliothek, München, H.lit.p. 326 gh, urn:nbn:de:bvb:12-bsb10734799-9
Roediger, Ludwig: Ein deutsches Wort an Deutschland's Burschen gesprochen vor dem Feuer auf dem Wartenberg bei Eisenach am achtzehnten des Siegesmondes im Jahr 1817 dem dritten Jubeljahr der Geistesfreiheit © Bayerische Staatsbibliothek, München, H.lit.p. 326 gh, urn:nbn:de:bvb:12-bsb10734799-9 (Bild: 1/2)

Nach dem Ende der offiziellen Feierlichkeiten und dem Einbruch der Dunkelheit zogen Studenten in einem Fackelzug auf den nahe gelegenen Wartenberg, auf dem „Siegesfeuer“ von Angehörigen des Eisenacher Landsturm zum Gedenken an die Völkerschlacht entzündet worden waren. Dort sangen die Teilnehmer das Lied „Des Volkes Sehnsucht flammt“ des Jenaer Studenten Ludwig Roediger, der anschließend eine Rede mit umstürzlerischen Untertönen hielt und proklamierte: „Wer bluten darf für das Vaterland, der darf auch davon reden, wie er ihm am besten diene im Frieden“. Später am Abend, als der Großteil der Studenten bereits aufgrund der kalten Witterung den Rückweg in die Eisenacher Unterkünfte angetreten hatte, begannen Angehörige der Turnerbewegung mit einer Aktion, die in der Geschichtswissenschaft bis heute umstritten ist: Sie warfen Militaria in das Feuer, die den verabscheuten Absolutismus symbolisieren sollten, sowie Altpapierbündel, die mit Titeln missliebiger Bücher beschriftet waren. Dass neben einer Sammlung von Polizeigesetzen oder dem „Code Napoléon“ (dem von Napoleon eingeführten Zivilrecht) auch das Werk „Germanomanie“ des jüdischen Autors Saul Ascher – unter dem Ausruf „Wehe über die Juden“ – in Flammen aufging, hat später zu der Diskussion geführt, ob dem Fest auch eine antijüdische Dimension zuzusprechen sei. Unbestritten ist, dass das Wartburgfest auf dem Weg zur Herausbildung des deutschen Nationalstaats einen wichtigen Etappenpunkt markiert.

Bücherverbrennung auf dem Wartenberg am 18. Oktober 1817, Wenzel Pobuda, nach 1817 © Wartburg-Stiftung Eisenach Fotothek Inv. Nr. G0407
Bücherverbrennung auf dem Wartenberg am 18. Oktober 1817, Wenzel Pobuda, nach 1817 © Wartburg-Stiftung Eisenach Fotothek Inv. Nr. G0407
Geheime Beschlüsse der Ministerial-Konferenzen zu Karlsbad, Leipzig: Thomas, 1848 © Bayerische Staatsbibliothek, München Res/L.eleg.m. 1347 t#Beibd.20, urn:nbn:de:bvb:12-bsb10922248-6
Geheime Beschlüsse der Ministerial-Konferenzen zu Karlsbad, Leipzig: Thomas, 1848 © Bayerische Staatsbibliothek, München Res/L.eleg.m. 1347 t#Beibd.20, urn:nbn:de:bvb:12-bsb10922248-6

Die Karlsbader Beschlüsse
Das Wartburgfest und besonders die Reden und Forderungen, die später in Broschüren in Umlauf gebracht wurden, erregten viel Aufmerksamkeit – in der Studentenschaft ebenso wie in der Gesamtbevölkerung, vor allem auch unter den Regierenden, die den liberalen und nationalen Bewegungen mit zunehmendem Misstrauen begegneten. Deren Anhängern verlieh das Wartburgfest enormen Auftrieb: Teile der Burschenschaften radikalisierten sich schließlich sogar, als die Obrigkeit die Aktivitäten der liberalen und nationalen Akteure in der Folgezeit zu unterdrücken versuchte, und waren bereit, die deutsche Einheit nötigenfalls mit Gewalt durchzusetzen.

Einem solchen radikalen Flügel gehörte etwa der Theologiestudent Karl Ludwig Sand an, ein Kriegsfreiwilliger von 1815, der als Mitglied der Jenaer Burschenschaft am Wartburgfest und der symbolischen Bücherverbrennung auf dem Wartenberg teilgenommen hatte. Als Sand im März 1819 den Schriftsteller August von Kotzebue ermordete, dessen Buch „Geschichte des Reichs“ auf dem Wartenberg symbolisch verbrannt worden war, reagierte die Obrigkeit mit einer Verschärfung der Repressionen. Im August 1819 setzte Metternich die Karlsbader Beschlüsse durch, die fast 30 Jahre in Kraft blieben und tief in die Rechte der Einzelstaaten des Bundes eingriffen. Das Maßnahmenpaket sah die Überwachung der deutschen Universitäten und die Schließung der Turnplätze vor, zudem ein Verbot der Burschenschaften, ferner die strenge Zensur für Presse- und Publikationserzeugnisse sowie Entlassungen und Berufsverbote für liberal und national gesinnte Professoren. Als Vorwand der Beschlüsse diente das Attentat, aber die eigentlichen Ursachen der Karlsbader Beschlüsse lagen in der Revolutionsangst begründet, die sich unter den Vertretern der alten Ordnung ausbreitete. Das Wartburgfest hatte gezeigt, dass in weiten Schichten eine große Unzufriedenheit mit den politischen Zuständen gärte – und dass Kritik, ob nun aus liberaler oder nationaler Motivation heraus, immer offensiver vorgetragen wurde. Diese Entwicklungen setzten den Repressionsmaßnahmen, die aus den Karlsbader Beschlüssen resultierten, ein vorläufiges Ende. Im Großen und Ganzen vermochte die Zensur, die von einer Vorzensur für alle Zeitungen, Zeitschriften, Broschüren und Bücher bis hin zu Verboten einzelner Ausgaben reichte, die Kritik weithin zu ersticken. Hinzu kam die Verfolgung und Inhaftierung von Trägern liberaler und nationaler Ideen, die als Demagogen belangt wurden. Ernst Moritz Arndt verlor beispielsweise im Zuge dieser sogenannten Demagogenverfolgung sein Professorenamt, Friedrich Ludwig Jahn kam für fast sechs Jahre in Haft. Selbst die preußischen Reformer Stein und Gneisenau erschienen verdächtig, die gestarteten Reformen wurden verlangsamt oder aufgehoben. Die Verbreitung freiheitlicher Ideen zu stoppen, gelang trotz aller Repressionsmaßnahmen nicht. Aus der hauptsächlich von einer intellektuellen Elite getragenen Freiheits- und Nationalbewegung entwickelte sich eine Massenbewegung über Ländergrenzen hinweg.

© Dr. Lars Lüdicke (Deutsche Gesellschaft e. V.)

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