7. September 1987
Staatsbesuch Honeckers in der Bundesrepublik
Staatsbesuch in der Bundesrepublik
Am 7. September 1987 traf Erich Honecker, Vorsitzender des Staatsrats der DDR und Generalsekretär des Zentralkomitees der SED (d.h. faktisches Staatsoberhaupt der DDR und Chef der Staatspartei) zu einem Besuch in der Bundesrepublik ein. Für die DDR war dieser erste Besuch ihres Staatsoberhauptes in der Bundesrepublik ein außenpolitischer Prestigeerfolg. Honecker wurde von Helmut Kohl, dem Bundeskanzler der Bundesrepublik, mit militärischen Ehren empfangen: Eine Ehrenformation der Bundeswehr war angetreten; die Nationalhymnen der Bundesrepublik und der DDR wurden gespielt; die Flaggen beider Staaten waren gehisst. Der Anreisetag ging mit einem Termin beim Bundespräsidenten und mit Gesprächen im Bundeskanzleramt vorüber, bevor die Bundesregierung zu einem gemeinsamen Abendessen lud. In den Folgetagen der fünftägigen Reise standen Gespräche mit der gesamten politischen Prominenz der Bundesrepublik auf dem Programm, etwa dem Bundestagspräsidenten, den Vorsitzenden der im Bundestag vertretenen Parteien und mit Repräsentanten der Bundesländer. Honecker nutzte die Gelegenheiten, um immer wieder die Existenz zweier unabhängiger souveräner Staaten in Deutschland zu betonen, und die DDR-Propaganda bemühte sich, die Gespräche als endgültige Anerkennung der DDR zu interpretieren.
Die unterschiedliche Interpretation des Besuchs von Bundesrepublik und DDR
Um dieser Propaganda entgegenzuwirken, hatten die Gastgeber jedoch einige Vorkehrungen getroffen. Wohl am wichtigsten war, dass Bundeskanzler Kohl auf einer Übertragung der Tischreden bestanden hatte, die vom Fernsehen beider Staaten live gesendet wurden. Auf diese Weise fanden Kohls Worte große Verbreitung, der seinem Gast erklärte, es würden sich „die Blicke von Millionen Deutschen zwischen Stralsund und Konstanz, zwischen Flensburg und Dresden“ auf dieses Zusammentreffen richten. Mit unbewegter Miene verfolgte Honecker die weiteren Ausführungen Kohls, der betonte: „Das Bewußtsein für die Einheit der Nation ist wach wie eh und je, und ungebrochen ist der Wille, sie zu bewahren. Diese Einheit findet Ausdruck in gemeinsamer Sprache, im gemeinsamen kulturellen Erbe, in einer langen, fortdauernden gemeinsamen Geschichte. […] An den unterschiedlichen Auffassungen der beiden Staaten zu grundsätzlichen Fragen, darunter zur nationalen Frage, kann und wird dieser Besuch nichts ändern. Für die Bundesregierung wiederhole ich: Die Präambel unseres Grundgesetzes steht nicht zur Disposition, weil sie unserer Überzeugung entspricht. Sie will das vereinte Europa, und sie fordert das gesamte deutsche Volk auf, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden. Das ist unser Ziel. Wir stehen zu diesem Verfassungsauftrag, und wir haben keinen Zweifel, daß dies dem Wunsch und Willen, ja der Sehnsucht der Menschen in Deutschland entspricht.“
Honecker ging nicht auf die Vorrede ein, sondern sprach allgemein von der Verantwortung beider Staaten für den Frieden. „Im Zeitalter schrecklicher nuklearer Massenvernichtungswaffen“ dürfe jedenfalls „niemand mit dem Gedanken spielen, die Weltprobleme, auch die der Auseinandersetzung zwischen Sozialismus und Kapitalismus, mit militärischen Mitteln lösen zu wollen“, so Honecker. „Weithin in der Welt“, so fuhr Honecker fort, habe „die Erkenntnis an Boden gewonnen, daß zur friedlichen Koexistenz von Staaten unterschiedlicher sozialer Ordnung keine vertretbare Alternative“ bestehe. Dementsprechend sei auch die Entwicklung „der Beziehungen zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland […] von den Realitäten dieser Welt gekennzeichnet, und sie bedeuten, daß Sozialismus und Kapitalismus sich ebenso wenig vereinigen lassen wie Feuer und Wasser."
Die Bedeutung des Besuchs für die "Deutsche Frage"
Im Rückblick wird deutlich, dass das das deutsch-deutsche Gipfeltreffen, über das 2.000 Journalisten aus Bonn berichteten und das weltweite Aufmerksamkeit fand, keineswegs eine Zäsur markiert, wie viele Zeitgenossen glaubten bzw. glauben machen wollten. In einigen Sachfragen gab es Fortschritte – über die sich allerdings die beiden Regierungen bereits im Vorfeld geeinigt hatten; mehr war vom Kanzler, der das „Machbare“ möglich machen wollte, auch nicht erwartet worden. Und auch in den weltpolitischen Grundfragen – der Frage der nationalen Einheit und der politischen Ordnung in Deutschland – gab es Kontinuität. Die deutsch-deutsche Annäherung war von Kohls Vorgängern eingeleitet worden, und der Bundeskanzler betonte, was stets offizieller Anspruch der Bundesregierungen war: Während Honecker die Teilung des Landes und die Existenz zweier deutscher Staaten zur Lösung der deutschen Frage – und deren friedliche Koexistenz zum Gebot der Stunde erklärte, hob Kohl die Einheit der Nation und das Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes hervor.
© Dr. Lars Lüdicke (Deutsche Gesellschaft e. V.)