27. - 30. Mai 1832
Das Hambacher Fest und die Formierung der deutschen Nationalbewegung
Das Hambacher Fest als politische Massenveranstaltung
Vom 27. bis zum 30. Mai 1832 fand in der Schlossruine im pfälzischen Hambach die erste politische Massenkundgebung in Deutschland statt. Mehr als 20.000 Menschen folgten dem Aufruf der Organisatoren, die zur Beratung über die politische Zukunft in die damals zum Königreich Bayern gehörende Rheinpfalz eingeladen hatten. Die Teilnehmer kamen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten und aus verschiedenen Nationen. Es wurde ein „Nationalfest der Deutschen“ und ein europäisches Fest. Unter der schwarz-rot-goldenen Flagge, die für die Idee der Freiheit und der Einheit der Nation stand, erhoben die Redner revolutionär klingende Forderungen. Ihre Ziele waren die nationale Einheit Deutschlands sowie politische Reformen, besonders Presse-, Meinungs-, Versammlungsfreiheit. Auch die Gleichberechtigung der Frauen oder die Schaffung eines konföderierten, republikanischen Europas wurde von einigen Rednern gefordert.
So deklamierte beispielsweise der Jurist und Journalist Philipp Jakob Siebenpfeiffer, der zu den Initiatoren des Hambacher Festes gehörte: „Ja, es wird kommen der Tag, wo ein gemeinsames deutsches Vaterland sich erhebt, das alle Söhne als Bürger begrüßt, und alle Bürger mit gleicher Liebe, mit gleichem Schutz umfaßt. Es lebe das freie, das einige Deutschland! […] Hoch lebe jedes Volk, das seine Ketten bricht und mit uns den Bund der Freiheit schwört! Vaterland – Volkshoheit – Völkerbund hoch!“ Ähnliche Töne waren auch von Siebenpfeiffers Mitstreiter, dem Juristen Johann Georg August Wirth, zu hören: Er forderte, „deutsche Patrioten“ sollten das „große Werk der deutschen Reform“ beginnen und mit „den Patrioten aller Nationen, die für Freiheit, Volkshoheit und Völkerglück das Leben einzusetzen entschlossen sind“, die „brüderliche Vereinigung suchen“. Seine Rede schloss mit den Worten: „Hoch! Dreimal hoch leben die vereinigten Freistaaten Deutschlands! Hoch! Dreimal hoch das conföderierte republikanische Europa!“ Wirth und Siebenpfeiffer wollten keinen radikalen Umsturz auslösen. Aber sie waren sich der revolutionären Bedeutung ihrer Forderungen nach Einheit und Freiheit und einer republikanischen Regierungsform sehr wohl bewusst: „Ohne Beseitigung der Fürstenthrone gibt es kein Heil für das Vaterland“, so Wirth.
Die Reaktionen im Deutschen Bund
Auf die Anhänger der alten Ordnung wirkte die Hambacher Massenveranstaltung, in der sich eine wachsende Volksbewegung unter herausfordernden Parolen versammelt hatte, als Provokation. Der Deutsche Bund reagierte mit verschärften Unterdrückungsmaßnahmen. Ein bayerisches Armeekorps wurde in die Pfalz verlegt; es folgten Verbote für politische Vereine und Versammlungen. 13 Teilnehmer des Hambacher Festes wurden vor Gericht angeklagt, unter ihnen auch Wirth und Siebenpfeiffer, denen „versuchte Aufreizung zum Umsturz der Staatsregierung“ vorgeworfen wurde.
Im Ergebnis bewirkten die Repressionsmaßnahmen zwar eine Stabilisierung des bestehenden Herrschaftssystems, zugleich jedoch auch eine Gegenreaktion der Opposition. Als beispielsweise 1837 sieben Göttinger Professoren („Göttinger Sieben“) aufgrund ihres Protestes gegen die vom König verfügte Aufhebung der hannoverschen Verfassung entlassen wurden, entstand deutschlandweit eine Welle der Solidarität, die etwa in Spendensammlungen zum Ausdruck kam. Immer wieder fanden sich Schlupflöcher in der Praxis, um Kritik zu artikulieren, etwa in Form von fiktionalen Texten. Zu den bekanntesten Dichtern, die das Restaurationsregime indirekt in literarischen Kunstformen kritisierten, zählen Heinrich Heine oder Georg Büchner.
Zugleich zogen sich Teile des Bürgertums, von der Teilnahme am politischen Leben weithin ausgeschlossen, auf sich selbst zurück. Es entstand die Kultur des Biedermeier, die ursprünglich die Bezeichnung für einen Möbelstil gewesen war und schließlich auf eine weithin bürgerliche Lebens- und Geisteshaltung im Zeitraum zwischen Wiener Kongress (1814/1815) und Revolution (1848) übertragen wurde. Ihr wichtigstes Merkmal war eine unpolitische Haltung, also die Abwendung des Bürgertums, das zu Geld und Ansehen gelangt war, von der politischen Sphäre zugunsten einer Hinwendung zur privaten. Die Pflege des Gesellschaftslebens, das Interesse an Natur oder Architektur, die Vorliebe für Kunst und Dichtung: All das waren Ausdrucksformen der Biedermeierkultur, die eine Reaktion auf das Metternich‘sche System aus Zensur und Polizeistaat gewesen ist.
Die revolutionäre Strahlkraft Frankreichs
Die erzwungene Ruhe war zu Ende, als im Juli 1830 in Frankreich abermals eine Revolution ausbrach. Bereits zuvor waren Proteste an anderen Stellen Europas gegen die Restauration entbrannt, etwa 1820 in Spanien und Italien, im Folgejahr hatten sich dann die Griechen gegen die osmanische Fremdherrschaft erhoben. Ein Schlüsselereignis aber war die Juli-Revolution in Frankreich, wo nach dem Ende der napoleonischen Ära die Bourbonen wieder eingesetzt worden waren. Im Juli 1830 erhoben sich Arbeiter, Handwerker und Studenten in Paris gegen die zunehmend reaktionäre Politik des 72-jährigen Königs, der versuchte, das Parlament aufzulösen, Wahlrecht und Pressefreiheit einzuschränken, um die Vorherrschaft des Adels wiederherzustellen. Diese Revolution erzwang innerhalb von nur drei Tagen die Abdankung Karls X., der sich zur Flucht nach England gezwungen sah. Zum neuen König ernannten die Abgeordneten den Bürgerkönig Ludwig Philipp, der nach den Grundsätzen der parlamentarischen Monarchie regierte.
Die revolutionären Ereignisse in Frankreich strahlten auf andere Gegenden Europas aus und stießen in West- wie in Süd- und Osteuropa erneute Unruhen an: Diese Aufstände standen – anders als die liberale Juli-Revolution – vor allem unter nationalen Vorzeichen und führten zur Bildung eines Königreiches Belgien, zu einem Bürgerkrieg in Spanien, einer Revolutionswelle in Italien, zu Umwälzungen in der Schweiz und einem Freiheitskampf in dem im Wiener Kongress an Russland gefallenen Landesteil Polens.
Auch auf dem Gebiet des Deutschen Bundes erfassten revolutionäre Ideen immer größere Bevölkerungsteile; an verschiedenen Orten entbrannten sogar heftige Unruhen. Im Herzogtum Braunschweig erzwang ein Volksaufstand die Flucht des Herzogs; die alte Ordnung vermochte sich zwar zu behaupten, reagierte auf die revolutionäre Stimmungslage aber mit dem Erlass einer neuen Verfassung, die den Bürgern wichtige Grundrechte garantierte. Ähnliche Entwicklungen vollzogen sich auch in anderen Staaten des Deutschen Bundes. Hier wie dort führte die aufgeheizte Stimmungslage zu Protesten und Aufständen, die ihrerseits zur Verabschiedung von Verfassungen beitrugen, über die zuvor bereits lange Zeit debattiert worden war. Doch die radikalen Forderungen nach politischer Mitverantwortung der Bürger, nach rechtsstaatlichen Garantien, Pressefreiheit usw. wurden in diesen Verfassungen nicht umgesetzt. Diese Verfassungsentwicklungen vermochten nicht, den liberalen und nationalen Bestrebungen die Dynamik zu nehmen: Das Zusammenwirken von enttäuschten Erwartungen und erzielten Teilerfolgen bewirkte eher eine Mobilisierung, die zugleich zur Herausbildung einer Massenbewegung führte. Aus der vornehmlich von einer intellektuellen Elite getragenen Freiheits- und Nationalbewegung, die beim Wartburgfest von 1817 zusammengekommen war, entwickelte sich eine Massenbewegung über Ländergrenzen hinweg, die beim Hambacher Fest von 1832 deutlich radikalere Forderungen anmeldete, als 15 Jahre zuvor erhoben worden waren.
© Dr. Lars Lüdicke (Deutsche Gesellschaft e. V.)